Interkulturelle Kommunikation im globalen Bildungsraum
Mit Beiträgen auf Deutsch, Englisch und Russisch
					
	
		©2017
		Textbook
		
			
				240 Pages
			
		
	
				
				
					
						
					
				
				
				
				
			Summary
			
				Der vorliegende Sammelband ist dem Thema der Interkulturalität gewidmet und enthält Beiträge in englischer, deutscher und russischer Sprache.
Vor dem Hintergrund der Globalisierung kommt dem Thema ‚Interkulturelle Kommunikation‘ eine zentrale Bedeutung zu: Durch Phänomene wie die globale Mobilität und Arbeitsteilung, zunehmende Reisefreiheit sowie die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien kommt es zu immer mehr Kontakten zwischen Personen unterschiedlicher Kulturen. Auswirkungen hat das auch auf den Arbeitsmarkt, der von Führungskräften zunehmend interkulturelle Kompetenzen und Kommunikationsfähigkeit fordert.
Aus unterschiedlichen Perspektiven diskutieren die Autoren dieses Bandes die Bedeutung von interkultureller Kommunikation für ihre jeweiligen Disziplinen. Dem Leser wird so ein multiperspektivischer Einblick in den Diskurs um Interkulturalität ermöglicht.
This anthology adresses the topic of interculturality and, therefore, includes articles in English, German and Russian.
In the context of the ongoing globalization, intercultural communication becomes increasingly important: global mobility and division of labour, free travelling combined with new communication technologies encourages exchange between people from different cultures. This requires intercultural competence and communication skills not only in private contexts but on the labour market as well.
From different points of view the authors of this book discuss the relevance of intercultural communication. By showing how different disciplines deal with this topic the book gives the reader a multiperspective insight on the discourse of interculturality.
	Vor dem Hintergrund der Globalisierung kommt dem Thema ‚Interkulturelle Kommunikation‘ eine zentrale Bedeutung zu: Durch Phänomene wie die globale Mobilität und Arbeitsteilung, zunehmende Reisefreiheit sowie die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien kommt es zu immer mehr Kontakten zwischen Personen unterschiedlicher Kulturen. Auswirkungen hat das auch auf den Arbeitsmarkt, der von Führungskräften zunehmend interkulturelle Kompetenzen und Kommunikationsfähigkeit fordert.
Aus unterschiedlichen Perspektiven diskutieren die Autoren dieses Bandes die Bedeutung von interkultureller Kommunikation für ihre jeweiligen Disziplinen. Dem Leser wird so ein multiperspektivischer Einblick in den Diskurs um Interkulturalität ermöglicht.
This anthology adresses the topic of interculturality and, therefore, includes articles in English, German and Russian.
In the context of the ongoing globalization, intercultural communication becomes increasingly important: global mobility and division of labour, free travelling combined with new communication technologies encourages exchange between people from different cultures. This requires intercultural competence and communication skills not only in private contexts but on the labour market as well.
From different points of view the authors of this book discuss the relevance of intercultural communication. By showing how different disciplines deal with this topic the book gives the reader a multiperspective insight on the discourse of interculturality.
Excerpt
Table Of Contents
4 
der  Doktoranden  und  Doktorandinnen  in  die  wissenschaftliche  Sphäre,  die 
Verwirklichung der Integration von Wissenschaft und Bildung in der Praxis. 
Die  Forschungsarbeiten,  die  von  den  Lehrkräften  unserer  Hochschule 
durchgeführt werden, erfassen eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Richtungen: 
Wirtschaftswissenschaften, 
Geschichtswissenschaft, 
Rechtswissenschaften, 
Sprachwissenschaften, Philosophie.  
Die  Hochschulangehörigen  arbeiten  in  Kooperation  mit  russischen  und 
ausländischen Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen auf der Basis von 
gemeinsamen  Forschungsprogrammen.  Im  Rahmen  der  Zusammenarbeit  werden 
Forschungsgruppen gebildet, wo die Wissenschaftler ihre Erfahrungen austauschen 
können.  
Der  vorliegende  Sammelband  ist  der  interkulturellen  Thematik  gewidmet.  Er 
enthält  Beiträge  in  englischer,  deutscher  und  russischer  Sprache.  Interkulturelle 
Kommunikation  hat  durch  zunehmende  Globalisierung  als  deren  Teil  eine 
zunehmende  Bedeutung.  Außerdem  kommt  es  durch  Phänomene  wie  etwa  der 
globalen  Arbeitsteilung  und  Mobilität,  zunehmender  Reisefreiheit  sowie  der 
Entwicklung  neuer  Kommunikationstechnologien  zu  immer  mehr  Kontakten 
zwischen  Personen  unterschiedlicher  Kulturen.  Der  globale  Arbeitsmarkt  erfordert 
von 
Führungskräften 
zunehmend 
interkulturelle 
Kompetenzen 
und 
Kommunikationsfähigkeit.  Ein  aktueller  Begriff  aus  der  Soziologie  ist  die 
Transmigration.  Die  zunehmende  räumliche  Mobilität  im  Zuge  der 
Internationalisierung 
des 
Bildungssystems, 
der 
Globalisierung 
und 
Transnationalisierung führte zu einem transnationalen Karrieremuster, durch die die 
Transmigranten  versuchen,  ihre  Kompetenzen  nicht  nur  an  einem  Ort,  sondern 
überall auf der Welt einzusetzen. 
Der  Band  enthält  Beiträge  von  Autoren  und  Autorinnen  aus  verschiedenen 
Arbeitsbereichen.  In  den  Arbeiten  werden  humanwissenschaftliche,  sozial-
ökonomische  und  gesellschaftliche  Probleme  behandelt.  Der  Sammelband  enthält 
Beiträge  von  unseren  ausländischen  Kooperationspartnern  und  partnerinnen:  Paul 
Lewis  Reynolds  und  John  Day  von  der  Universität  Huddersfield  (UK),  Prof.  Dr. 
5 
habil.  Steffi  Robak  und  Dr.  Isabel  Sievers  von  der  Leibniz-Universität  Hannover 
(Deutschland). Dafür sei ihnen an dieser Stelle herzlichst gedankt.  
Die  meisten  Autoren  sind  an  der  Omsker  Filiale  der  Finanzuniversität  tätig. 
Andere Autoren sind an den anderen Hochschulen der Stadt Omsk tätig, mit denen 
seit Jahren eine intensive Zusammenarbeit besteht. Wir hoffen darauf, dass sich die 
Kooperation mit Wissenschaftlern aus Deutschland mit der Veröffentlichung dieses 
Sammelbandes  erweitern  wird.  Möglicherweise  könnten  neue  Kontakte  geknüpft 
und internationale Forschungsgruppen gebildet werden.  
An  dieser  Stelle  sei  den  Kolleginnen  und  Kollegen  vielmals  gedankt,  die  bei 
der Vorbereitung dieses Sammelbandes mit hohem Engagement gearbeitet haben.  
Omsk, im Januar 2017 
Prof. Dr. Valeriy Karpov, 
Prof. Dr. Vasiliy Kovalev   
Financial University under the Government of the 
Russian Federation, Omsk Branch 
6 
Valeriy Karpov 
Doctor of Economics, Professor,  
Financial University under the Government of the Russian Federation,  
Omsk Branch, Russian Federation 
Geografische und berufliche Mobilitätsbereitschaft von Spätaussiedlern  
in Deutschland und Russlanddeutschen in Russland im Berufsverlauf:  
Der Einfluss von Persönlichkeit, Migrationserfahrung, sozialem Umfeld  
und Arbeitssituation 
Ausgangslage  
Im  Rahmen  der  Studie  sollte  das  Verhältnis  von  Migration,  Mobilität  und 
Mobilitätsbereitschaft  aus  verschiedenen  Perspektiven  und  in  unterschiedlichen 
Kontexten  analysiert  und  diskutiert  werden.  Das  Projekt  ist  im  Rahmen  der 
Migrationsforschung 
angesiedelt, 
die 
sich 
als 
ein 
interdisziplinäres 
wissenschaftliches  Arbeitsfeld  mit  dauerhaften  und  grenzüberschreitenden 
Verlagerungen  menschlicher  Wohnorte  befasst.  Die  pädagogische  Relevanz  des 
Projektes  ist  im  Bereich  der  beruflichen  Weiterbildung,  der  Erwachsenenbildung, 
aber auch der Berufspädagogik angesiedelt.  
Im  Zentrum  des  Interesses  der  vergleichenden  Studie  stand  die  räumliche 
Mobilität  und  Mobilitätsbereitschaft  von  Russlanddeutschen.  Unter  räumlicher 
Mobilität  verstehen  Wissenschaftler  jede  Positionsveränderung  eines  Individuums 
zwischen  verschiedenen  Einheiten  eines  räumlichen  Systems.  Räumliche  Mobilität 
ist  unabhängig  von  der  Reichweite  der  Bewegung  (große  oder  geringe  Distanzen) 
und  ihrer  Frequenz  (einmalig  oder  regelmäßig,  selten  oder  häufig).  Von  einem 
Wanderungsvorgang oder einer Migration spricht man in der Regel dann, wenn die 
räumliche  Mobilität eines Individuums oder einer  Gruppe über eine  administrative 
Grenze  hinweg  erfolgt  und  auf  Dauer,  jedoch  zumindest  auf  einen  längeren 
Zeitraum, angelegt ist.  
7 
Spätaussiedler unterscheiden sich von den anderen Migrantengruppen, weil sie 
in  den  Herkunftsländern  zu  einer  deutschstämmigen  Minderheit  gehörten.  Die 
Spätaussiedler  wurden  jedoch  durch  die  Lebensbedingungen  und  die  Alltagskultur 
in  den  Herkunftsländern  entscheidend  geprägt,  während  ihre  Zugehörigkeit  zur 
deutschen Minderheit in den meisten Fällen keine Handlungspraxis im Hinblick auf 
Sprache und kulturelle Traditionen mehr implizierte.  
Die Umsiedlung bedeutet für die Spätaussiedler einen radikalen Bruch in ihrem 
Leben.  Sie  verlieren  den  Kontakt  zu  ihrem  unmittelbaren  gewohnten  sozialen 
Umfeld,  zu  den  wichtigen  Bezugspersonen.  Sie  verlieren  aber  auch  ihren 
Bildungskontext  und  ihren  Beruf,  in  dem  sie  jahrelang  gearbeitet  haben.  Die 
Berufsbiographie  von  Spätaussiedlern  ist  durch  die  Aussiedlung  in  besonderer 
Weise  geprägt.  Viele  Abschlüsse  werden  in  Deutschland  nämlich  nicht  anerkannt 
und  viele  Berufe,  insbesondere  aus  dem  landwirtschaftlichen  Bereich,  gibt  es  in 
Deutschland nicht mehr. 
Zielsetzung  
Im  Rahmen  des  Projektes  wurde  der  Frage  nachgegangen,  welche  Prädiktoren  die 
geografische, jobbedingte und berufliche Mobilitätsbereitschaft von Spätaussiedlern 
in  Deutschland  und  Russlanddeutschen  in  Russland  beeinflussen.  Dabei  wurden 
neben  den  Mobilitätsbereitschaftsdimensionen  kontextuelle,  soziodemografische, 
biografische,  arbeitsbezogene,  soziale  und  personale  Variablen  mittels  Interview 
erfasst.    
Vorgehensweise 
Im  Falle  der  Studie  geht  es  um  eine  biographisch-vergleichende  Studie  zur 
geografischen  und  beruflichen  Mobilitätsbereitschaft  von  Spätaussiedlern  in 
Deutschland  und  Russlanddeutschen  in  Russland:  biographieorientierte  Interviews 
nach  dem  Schneeballprinzip von  Fall  zu  Fall  (Aufenthaltsdauer,  Familiensituation, 
Arbeits- und Lebenszufriedenheit, berufliche Position, Erwartungen, Einstellungen, 
8 
Sprachkompetenz, Selbstbild und Fremdbild usw.), der Zugang zu Interviewpartnern 
durch z.B. Aushänge in Institutionen (Treffpunkte, Vereine usw.).  
Das  Interesse  galt  den  individuellen  Schicksalen  sowie  den  subjektiven 
Erinnerungs-,  Verarbeitungs-  Deutungs-  und  Tradiermustern.  Anhand  der 
Auswertung  von  biographischen  Interviews  mit  Spätaussiedlern  werden  sowohl 
individuelle  Lebenswege  und  lebensgeschichtliche  Erfahrungen  als  auch 
berufsbezogene  Integrationsverläufe  in  den  90er  und  2-tausender  Jahren 
veranschaulicht werden.  
Die  Zielgruppe  unterteilte  sich  in  Spätaussiedler  aus  den  Nachfolgestaaten  der 
ehemaligen UdSSR, die über 10 Jahre in Deutschland leben, und Russlanddeutsche, 
die  in  Russland  leben.  Zum  Zeitpunkt  der  Untersuchung  sollen  die  Befragten  aus 
beiden  Gruppen  im  arbeitsfähigen  Alter  zwischen  30  und  50  Jahren  sein.  Befragt 
wurden Personen (Frauen und Männer), die Familie und Kinder haben.  
Ferner  wurde  es  vorgesehen,  die  beiden  Gruppen  im  Hinblick  auf  das 
Vorhandensein eines akademischen Abschlusses bei den Interviewten zu unterteilen. 
Die  Interviews  wurden  von  dem  Projektleiter  in  Englisch  oder  in  Russisch 
durchgeführt.  Da  er  über  muttersprachliche  Kenntnisse  der  russischen  Sprache 
verfügt,  war  er  optimal  in  der  Lage,  eine  Vertrauensbasis  zu  den  Probanden 
herzustellen, sich auf deren sprachlichen Kompetenzen einzustellen, die Interviews 
durchzuführen, wobei er kulturspezifische Besonderheiten problemlos interpretieren 
konnte,  und  anschließend  die  Interviews  nach  qualitativen  Standards  auszuwerten.  
In  jeder  Gruppe  wurden  6  Personen  befragt  (die  Hälfte  davon  mit  einem 
akademischen  Abschluss).  Experteninterviews  wurden  von  Herrn  Karpov  in 
englischer Sprache durchgeführt.  
Forschungsmethoden  
1. Pilotphase 
In  der  Pilotphase  des  Projektes  wurden  u.a.  ExpertInneninterviews  durchgeführt. 
Unser  Interesse  war  zum  einen  auf  die  Institutionen  bzw.  deren  pädagogische 
Vertreter  gerichtet,  die  sich  mit  der  Integration  von  Aussiedlern  beschäftigen. 
9 
Außerdem  wollten  wir  WissenschaftlerInnen  befragen,  die  zu  diesem  Thema 
geforscht und publiziert haben. Experten-Interviews stellen eine spezielle Form des 
Leitfaden-Interviews dar. Anders als bei biographischen Interviews interessiert der 
Befragte dabei weniger als (ganze) Person denn in seiner Eigenschaft als Experte für 
ein  bestimmtes  Handlungsfeld  (vgl.  exemplarisch  dazu  Flick  2002,  S.139).  Wir 
haben  für  die  Experteninterviews  einen  Fragenkatalog  entwickelt,  der  in  sechs 
Abschnitte unterteilt war: 
Angaben zur Person 
I.   
Allgemeine Fragen  
II.   
Prozess der Veränderungen 
III.   
Kompetenzen 
IV.   
Berufliche Situation 
V.   
Mobilität und Mobilitätsbereitschaft 
VI. 
Anmerkungen 
Für die Interviews mit den PraktikerInnen und den WissenschaftlerInnen wurde 
der gleiche Fragenkatalog bzw. Leitfaden verwendet. Dabei wollten wir eventuelle 
Tendenzen,  gemeinsame  Deutungen  sowie  Unterschiede  in  den  verschiedenen 
Aussagen  festhalten.  Mit  diesen  Interviews  wollten  wir  die  geografische  und 
berufliche  Mobilitätsbereitschaft  von  Spätaussiedlerinnen  und  Spätaussiedlern 
möglichst ausführlich, d.h. aus verschiedenen Sichtweisen erforschen. 
Alle 
interviewten 
ExpertInnen 
meinen, 
dass 
Migration 
einen 
lebensgeschichtlichen  Bruch  für  alle  Familienmitglieder  einer  jeweiligen  Familie 
darstellt, der mit krisenhaften Erscheinungen verbunden ist. Es überwiegt also eine 
Krisen-  und  Problemperspektive.  Migration  löst  in  vielen  Fällen  Familien-  und 
Generationenkonflikte aus.  
Das  Thema  des  Projektes  ist  so  gut  wie  nicht  empirisch  untersucht  worden. 
Durch  einen  Aufnahmebescheid  anerkannten  Aussiedler  gehen  nach  einem  Jahr  in 
die  Bevölkerungsbestandsstatistik  ein,  eine  Ausnahme  bilden  dabei  die  Statistiken 
der Bundesanstalt für Arbeit, wo sie fünf Jahre lang als Aussiedler geführt werden. 
Nach fünf Jahren sind die Aussiedler also nicht mehr als eine zugewanderte Gruppe 
10 
identifizierbar,  was  die  Erforschung  der  langfristigen  Folgen  deren  Migration 
wesentlich erschwert. 
2. Hauptuntersuchung 
2.1.1. Festlegung des methodischen Vorgehens 
Der methodische Ansatz der vorliegenden Untersuchung sollte im Hinblick auf die 
Auswertung folgende Betrachtungsweisen ermöglichen. Zum einen sollen durch die 
personenbezogene  Analyse  von  Einzelinterviews  individuelle  Auswirkungen  der 
Migration  auf  die  berufliche  Situation,  Persönlichkeits-  und  Identitätsentwicklung 
der  Aussiedlerinnen  aufgezeigt  werden.  Zum  anderen  sollte  eine  gezielte 
Auswertung  zu  Einzelaspekten  der  gewählten  Fragestellung  unter  dem  Blickpunkt 
der themenbezogenen Analyse vorgenommen werden. Um diese Herangehensweise 
an  das  Material  zu  ermöglichen,  war  eine  methodische  Konzeption  der  Interviews 
notwendig,  die  sowohl  eine  Fokussierung  auf  bestimmte  Fragestellungen  als  auch 
Spielräume  für  erzählende  Passagen  durch  die  Interviewpartnerinnen  zuließ.  Eine 
solche  Möglichkeit  bietet  das  problemzentrierte  Interview,  wie  es  als  Verfahren 
qualitativer  Analyse  von  Mayring  (1993,  S.  46ff.)  dargestellt  wird.  Diese 
Vorgehensweise, die auf das ,,fokussierte Interview" von Merton und Kendall (1945, 
hier  1979)  zurückgeht,  bedient  sich  eines  Interviewleitfadens.  Mit  der  Hilfe  dieses 
Leitfadens  werden  die  Interviewten  auf  bestimmte  Fragestellungen  hingelenkt  und 
reagieren darauf offen, ohne jegliche Antwortvorgaben.   
Die  Standardisierung  im  problemzentrierten  Interview  ermöglicht  die 
Vergleichbarkeit  mehrerer  Interviews,  weil  das  vorliegende  Material  auf  die 
jeweiligen  Fragen  des  Leitfadens  bezogen  werden  und  so  leichter  ausgewertet 
werden  kann  (vgl.  ebd.  S.  49).  Obwohl  für  diese  Art  des  Interviews  eine 
Standardisierung  typisch  ist,  kann  sich  das  problemzentrierte  Interview  dem 
narrativen Interview annähern. Dies geschieht dadurch, dass im problemzentrierten 
Interview  auch  erzählende  Passagen  oder  von  der  Fragestellung  abweichende 
Aspekte zugelassen werden.  
11 
2.1.2. Festlegung der Interviewdurchführung 
Die  obenangeführte  Darstellung  des  methodischen  Ansatzes  lässt  es  deutlich 
werden,  dass  bei  der  Durchführung  eines  problemzentrierten  Interviews  ein 
Balanceakt  zwischen  dem  durch  den  Leitfaden  vorgegebenen  Erkenntnisinteresse  
des  Wissenschaftlers  und  den  individuellen  Schwerpunktsetzungen  der  befragten 
Personen angestrebt werden soll.  
Für  die  Hauptuntersuchung  nutzten  wir  einen  am  Ende  der  Pilotphase 
entwickelten  Fragenkatalog  und  einen  Kurzfragebogen  (vgl.  Anhang).  Der 
Fragenkatalog wurde in sechs Abschnitte unterteilt: 
Angaben zur Person 
I.   
Allgemeine Fragen  
II.   
Prozess der Veränderungen 
III.   
Kompetenzen 
IV.   
Berufliche Situation 
V.   
Mobilität und Mobilitätsbereitschaft 
VI.    
Anmerkungen 
2.2.2. Bildung der Auswertungskategorien und Zuordnung des Materials 
Der  methodische  Ansatz  der  vorliegenden  Studie  lässt  sich  in  Anlehnung  an  die 
Ausführungen  von  Mayring  (1983,  vgl.  2000)  als  ein  Verfahren  der  qualitativen 
Textanalyse beschreiben, d.h. sie bezieht sich auf die qualitative Inhaltsanalyse, eine 
der  klassischen  Vorgehensweisen  zur  Analyse  von  Textmaterial  gleich  welcher 
Herkunft.  Ein  wesentliches  Kennzeichen  ist  die  Verwendung  von  Kategorien,  die 
häufig  aus  theoretischen  Modellen  abgeleitet  sind:  Kategorien  werden  an  das 
Material  herangetragen  und  nicht  unbedingt  daraus  entwickelt,  wenngleich  sie 
immer wieder daran überprüft und gegebenenfalls modifiziert werden. Im Gegensatz 
zu  anderen  Ansätzen  ist  das  Ziel  hier  vor  allem  die  Reduktion  des  Materials  (vgl. 
Flick  2000,  S.279).  Die  qualitative  Textanalyse  beginnt  nach  Mayring  mit  der 
Festlegung  des  Materials,  der  Auswahl  der  Interviews  bzw.  der  daraus  für  die 
Fragestellung 
interessanten 
Teile. 
Weiter 
werden 
die 
Analyse 
der 
12 
Erhebungssituation und formale Charakteristik des Materials vorgenommen. Ferner 
wird das Material analysiert um festzustellen, welche Aussagen bzgl. der verfolgten 
Fragestellung daraus gewonnen werden können.  
Schlussfolgerungen in Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Studie 
Migration  und  Mobilität  werden  vielfach  als  unterschiedliche  Phänomene 
wahrgenommen und diskutiert. Von Migration wird eher dann gesprochen, wenn es 
um Arbeitskräftewanderungen aus nicht europäischen Ländern, aus Drittstaaten oder 
um  Flucht  und  Asyl  geht.  Als  Mobilität  werden  zum  einen  innereuropäische  und 
speziell  inner-EU-Wanderungen  und  generell  auch  Wanderungen  von 
Hochqualifizierten  bezeichnet.  Im  Rahmen  der  Studie  untersuchten  wir  folgende 
Zielgruppe:  Spätaussiedler  aus  den  Nachfolgestaaten  der  ehemaligen  UdSSR,  die 
über 10 Jahre in Deutschland leben, und Russlanddeutsche, die in Russland leben.  
Bei der Arbeit am Projekt konnten wir feststellen, dass man allgemein über eine 
Pluralisierung  von  Migration  und  Mobilität  reden  kann.  Diese  Pluralisierung  hat  
sich  in  den  vergangenen  Jahren  nicht  zuletzt  aufgrund  verbesserter 
Verkehrsbedingungen,  Reisemöglichkeiten  und  neuer  Informationstechnologien 
verstärkt.  Die Spätaussiedler/innen (und auch andere Migrantengruppen) bewegen 
sich  täglich  in  verschiedenen  räumlichen  und  zeitlichen  Dimensionen.  In  diesen 
Kategorisierungen werden unterschiedliche Profile geografischer Mobilität sichtbar, 
die vielfach auch durch eine multilokale Existenzweise geprägt sind. Darüber hinaus 
sind  diese  Kategorien  sowohl  Resultat  individueller  Handlungen  als  auch  von 
staatlichen Bemühungen einer Regulierung von Migration und Mobilität. Während 
die lange etablierten, weiterhin existierenden Formen der Migration vielfach durch 
Aufbrechen  und  Weggehen  einerseits  und  Ankommen  bzw.  Bleiben  andererseits 
gekennzeichnet  sind,  sind  für  die  neueren  Formen  geografischer  Mobilität  eher 
kontinuierliche  Bewegungen  von  Menschen  und  Dingen  charakteristisch.  Dies 
spiegelt sich z.B. in dem Versuch, durch das Präfix ,,trans" (Transmigration etc.) den 
neuen (Erscheinungs-)Formen geografischer, aber auch sozialer Mobilität Rechnung 
zu  tragen.  Wichtig  für  die  Mobilität  der  Spätaussiedler  in  Deutschland  ist  oft  ihre 
13 
doppelte Staatsbürgerschaft, die es ihnen ermöglicht, ohne Probleme gegebenenfalls 
auch  zwischen  den  Staaten  zu  pendeln.  Interessanterweise  kann  bei  den 
Mobilitätsformen von Russlanddeutschen in Russland auch von Transmigration die 
Rede  sein,  weil  viele  von  ihnen  nach  dem  Zusammenbruch  von  der  UdSSR 
zentralasiatische Staaten verlassen haben und nach Russland umgesiedelt sind, aber 
immer noch dort Verwandten haben und ihre Herkunftsländer besuchen. Die beiden 
Gruppen  zeigten  eine  hohe  räumliche  Mobilitätsbereitschaft  auf,  was  auf  ihre 
Migrationserfahrungen möglicherweise zurückzuführen ist. 
Ausblick 
Ob es sich wirklich um neue Formen von Mobilität resp. Migration handelt, ist zu 
prüfen. Auch der Frage nach dem Zusammenhang zwischen den verschiedenen 
Formen geografischer, sozialer und alltäglicher Mobilität auf der einen Seite und 
sozialen Milieus, Lebensstilen und Identitätskonstruktionen, die als ,,hybrid", 
,,multilokal" und ,,glokal" bezeichnet werden, auf der anderen Seite ist nachzugehen. 
Von daher kann die Untersuchung der Transmigrationsformen russlanddeutscher 
Aussiedler (Push- und Pull-Motive, Gründe, Deutschlandbild, 
Migrationserfahrungen etc.) als eines der möglichen Themen für spätere 
Forschungsprojekte empfohlen werden.   
14 
Literaturverzeichnis 
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Schmitt-Rodermund, Eva / Silbereisen, Rainer K.: Gute Miene zum bösen 
Spiel: Resilienz unter arbeitslosen Aussiedlern, in: Silbereisen, Rainer K. / 
Lantermann, Ernst-Dieter. / Schmitt-Rodermund, Eva. (Hrsg.): Aussiedler in 
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S. 277 - 299. 
- 
Strobl, Rainer/ Kühnel, Wolfgang: Dazugehörig und ausgegrenzt. Analysen 
zu Integrationschancen junger Aussiedler. Weinheim und München 2000 
16 
Steffi Robak 
Professor, Grand PhD., 
Managing Director of the research team DiversitAS 
The University of Hanover, Germany 
Lern- und Bildungsprozesse von Expatriates in transnationalen Unternehmen 
in China: Zur Rolle von "Kulturprogrammen", kulturellen Differenzen und 
Wissensressourcen 
Der  Beitrag  diskutiert  ausgewählte  theoretische  Grundlagen  und  empirische 
Ergebnisse  meiner  Habilitationsstudie  (Robak  2012),  die  sich  mit  Lern-  und 
Bildungsprozessen deutschsprachiger Expatriats in globalen Unternehmen in China 
beschäftigt.  Es  wird  eingangs  gezeigt,  dass  es  keine  ausreichend  entwickelten 
Konzepte  einer  integrierten  Lernkulturgestaltung  für  transnationale  Unternehmen 
gibt.  Anschließend  werden  theoretische  Prämissen  zur  Erschließung  von  Wissen, 
Lernformen,  Kultur  und  kulturellen  Differenzen  entwickelt,  die  in  ein  empirisches 
Analysemodell eingehen. Exemplarische empirische Ergebnisse am Beispiel zweier 
analysierter Typen, die klassischen Expatriats und die Kosmopolitischen Nomaden, 
belegen  kulturelle  Hybridbildungsprozesse,  die  Einfluss  auf  Arbeits-  und 
Lernprozesse  nehmen  und  Bildungs-  und  Qualifizierungsmöglichkeiten  durch 
transnationale Lernkulturen benötigen.  
1.  Zur mangelnden Verknüpfung von Wissensressourcen in Lernkulturen  
Berufliche  Wissensstrukturen,  Kompetenz  und  (inter)kulturelles  Wissen  sind  zu 
wichtigen Faktoren der Globalisierung erwachsen. Konzepte und Praxis, die sich in 
entsprechend  integrierten  Lernkulturen  widerspiegeln  müssten,  so  zeigen  die 
vorliegenden  Auswertungen  (vgl.  Robak  2011a,  2012),  bereiten  jedoch  nicht 
ausreichend  darauf  vor.  Nicht  nur  berufliches  Wissen  erweist  sich  als  ungesichert, 
sondern  auch  kulturelles  Wissen  wird  nicht  ausreichend  vermittelt,  um  in 
Lernkulturen,  Strukturentscheidungen  und  Arbeitsprozessen  wirksam  zu  werden. 
17 
Bildungswissenschaftliche  Perspektiven  sind  bislang  für  die  verschiedenen 
betroffenen  Berufs-  und  Bevölkerungsgruppen  nicht  aufgearbeitet,  obwohl 
wirtschaftliche  Verflechtung  ein  vielkonstatiertes  Phänomen  ist  (vgl.  Faulstich 
2009). Am Beispiel der Globalisierung nach China wird dies besonders sichtbar, die 
Unternehmen möchten ,,am Markt Schritt halten" und am Wachstum partizipieren. 
Nicht nur die Produktion wird verlagert, sondern auch Forschung und Entwicklung 
(Chamber  of  Commerce  in  China  2011).  Besonders  der  Wissenstransfer  ist  in 
rechtlichen  Regelungen  festgelegt,  chinesische  Unternehmen  möchten  von  den 
Wissensressourcen  der  Expatriates  profitieren.  Damit  zusammenhängende 
Problemlagen  im  Bereich  der  Zusammenarbeit  belegt  besonders  die  sogenannte 
,,Joint-Venture-Forschung"  (z.B.  Schuchardt  1994).
1
  Neue  Optionen  der 
strategischen Steuerung eröffnet die Form der ,,Wholly Foreign Owned Enterprises", 
die an Stellenwert gewinnt. Veränderte ökonomische Gestaltungsoptionen evozieren 
neue Anforderungen im Bereich der Kompetenzentwicklung.  
Trotz  dieser  Entwicklungen  verweisen  die  Konzepte  des  internationalen 
Personalmanagements 
(IPM) 
(Jammal 
2001), 
der 
internationalen 
Personalentwicklung  und  des  Expatriate  Managements    um  eine  Auswahl  an 
wichtigen  Zugängen  zu  nennen    bislang  auf  eine  Unterbewertung  von 
Weiterbildung,  der  Wissensanforderungen  und  eine  Unterbewertung  kulturellen 
Wissens.  
Dies  wird  an  parzellierten  Konzeptualisierungen  des  Zusammenhangs  von 
Kultur,  Wissen,  Qualifizierung  und  Bildung  sichtbar.  Zum  einen  erfolgt  eine 
Subsummierung  unter  ökonomischen  Perspektiven:  Der  Aufgabenmodus  des 
Personalmanagements steht im Fokus und platziert Qualifizierung unspezifisch, z.B. 
neben  der  Personalauswahl,  Anreizgestaltung  und  dem  Mitbestimmungs-
management (Süß 2004, S. 33). Wissensfelder des IPM sind dann:  
1
 Ein Joint Venture ist eine von chinesischer Seite gesetzlich veranlasste Unternehmensform, die eine 
ökonomische Bindung des Kapitals regelt und einen Wissenstransfer sichert. Besonders eng müssen 
Managementhandeln und Entscheidungen zwischen Managern und Beschäftigten verschiedener kultureller 
Zugehörigkeiten dort abgestimmt werden. 
18 
Wissensvermittlung 
Schaffung kulturspezifischer 
Fähigkeiten/ interkultureller 
Kompetenz 
Länder- und 
kulturbezogenes 
Wissen  
Unternehmens-
spezifisches 
Wissen  
Schaffung kultur-
allgemeiner 
Fähigkeiten  
Schaffung 
kulturspezifischer 
Fähigkeiten/ 
interkultureller 
Kompetenz  
Tab.:  Wissensfelder  des  Internationalen  Personalmanagements  (Süß  2004, 
S. 107) 
Aufnahme  findet  interkulturelles  Wissen  in  einer  spezifischen  Weise;  als 
,,zusätzliche"  Anforderung.  Von  zentralem  Interesse  ist  die  Einbindung  in  eine 
Unternehmensperspektive.  Mit  der  Hervorhebung  des  unternehmensspezifischen 
Wissens  ist  informelles  Lernen  im  Sinne  von  Informationsbeschaffung  im 
Unternehmen  eingeleitet.  Eine  umfassende  Absicherung  und  Förderung  von 
Qualifikation  und  Kompetenzentwicklung  mit  Anteilen  an  Wissensvermittlung  ist 
nicht  vorgesehen.
2
  Von  zunehmendem  Interesse  ist  das  ,,Internationalisierungs-
wissen",  Wissen  über  Märkte  ist  damit  besonders  angesprochen.  Es  finden  sich 
jedoch  keine  Hinweise  auf  komplexe  Angebotsstrukturen  (vgl.  auch 
Gieseke/Robak/Wu 2009), die diese Wissensressourcen vor Ort einspeisen, vielmehr 
fordert die Literatur im Radius des IPM ,,kooperative Selbstqualifikation", d.h. der 
Arbeitsplatz selbst ist der Ort der optimalen Qualifizierung und Internationalisierung 
(Fröhlich 2000, S. 21).  
Parzellierung  des  Wissens  ist  auf  der  anderen  Seite  auch  im  Bereich  der 
interkulturellen  Trainingspraxis  zu  konstatieren:  Eine  Analyse  der  Ansätze 
interkultureller  Kompetenz  zeigt  eine  verengte  Überbetonung  essenzialistischen 
Kulturwissens.  Vertreter  des  Bereiches  interkulturelle  Kommunikation  kritisieren 
ein  ,,Steckenbleiben"  der  Trainingspraxis  (vgl.  Moosmüller  2007).  Der 
Kompetenzbegriff  hat  zu  wenig  theoretische  und  konzeptionelle  Innovationen 
2
 Als kulturspezifisches Wissen haben die Kulturdimensionen von Hofstede (1980) Eingang in Konzepte 
des IPM gefunden (zur kritischen Analyse siehe Robak 2012).  
19 
ermöglicht. Von aufklärerischen Bildungsanteilen kann in verkürzten Machbarkeits- 
und Anpassungsansätzen keine Rede sein (vgl. Messerschmidt 2009). 
Die  Ursachen  der  parzellierten  Wissensbearbeitung  sind,  so  zeigen  auch 
Interviews  mit  Personalentwicklern,  die  im  Rahmen  meiner  Habilitationsstudie 
geführt  wurden  (Robak  2012),  mehrfaktoriell:  Es  liegt  zu  wenig  Wissen  über  die 
realen  Arbeitsplatzanforderungen  unter  kulturdifferenten  Bedingungen  vor. 
Entsendungen  selbst  werden  von  Unternehmen  als  Personalentwicklung  betrachtet 
(siehe  auch  Berthel/Becker  2013).  Die  organisationalen  Formen  transnationaler 
Personalentwicklung  bzw.  transkultureller  Lernkulturgestaltungen  sind  noch 
unterentwickelt.  Die  Literaturlage  lässt  weiterhin  die  Vermutung  zu,  dass  der 
Mythos einer zielführenden kulturspezifischen Auswahl von Expatriates immer neu 
genährt  wird  (vgl.  Deller  2000).  Mit  einer  kulturspezifizierenden  Auswahl  ist  die 
Hoffnung  verbunden,  kulturelle  Reibungsflächen  zu  umgehen  und  kulturelle 
Differenzen  im  Arbeitsprozess  durch  spezifische  Persönlichkeitsstrukturen 
auszugleichen.  Eine  wichtige  Fragestellung  lautet  deshalb:  Auf  welche 
Wissenszuschnitte  und  welche  Bearbeitungsformen/  Lernformen  greifen 
deutschsprachige Expatriates in global operierenden Unternehmen in der VR China 
zurück?  Sind  Wissensressourcen  in  Form  von  Lernkulturen  für  diese  Gruppen 
ausreichend abgesichert, die sowohl eine Professionalisierung ermöglichen als auch 
die  Erfüllung  der  unmittelbaren  Arbeitsplatzanforderungen  und  darüber  hinaus 
kulturelle  Partizipation  unterstützen?  Zunächst  soll  ein  Ausschnitt  des  abduktiv 
(Reichertz  2003)  entwickelten  Analysemodells  erläutert  werden.  Es  folgen 
exemplarische empirische Ergebnisse am Beispiel zweier analysierter Typen.  
2.  Konzeptualisierung  zur  Erfassung  des  Zusammenhangs  von  Wissen  und 
Lernformen sowie Kultur und kultureller Differenz 
2.1.  Praktiken  und  Hybridisierungsprozesse  als  theoretische  Bezüge  der 
empirischen Analyse  
Die  Auswertung  von  Kulturtheorien  im  Radius  kultureller  Differenz  zeigte,  dass 
Diskurse, die sich mit Identität, Wertestrukturen, kulturellen Angleichungsprozessen 
20 
und  postkolonialen  Folgen  auseinandersetzen,  besonders  wichtig  sind  für  kritische 
Analyseperspektiven  und  Interpretationen,  jedoch  einer  grundsätzlichen 
theoretischen Ergänzung bedürfen, um den Blick auf die konkreten Phänomene der 
Entstehung  transnationaler  Räume  und  kultureller  Bedeutungswelten  (Schriewer 
2007) 
zu 
richten. 
Länderübergreifende 
gesellschaftsformende 
Modernisierungsprozesse 
haben 
- 
besonders 
über 
transnationale 
Unternehmensstrukturen  (Köhler  2004)  -  Räume  des  Kulturtransports  entstehen 
lassen,  die  durch  Arbeitsstrukturen  Fakten  schaffen.  Als  kleinste  Analyseeinheit 
können ,,Praktiken" eingeführt  werden.  Sie  bilden  die  Grundlage  des  vorliegenden 
Analysemodells. 
Kulturtheoretische  Annahmen  haben  neue  Impulse  zur  Beschreibung  und 
Verortung  von  Praktiken  im  Rahmen  eines  cultural  turn  der  Sozialwissenschaften 
gegeben.  Dem  Kulturbegriff  werden  über  Praktiken  Wertungen  entzogen.  Der 
Praktikenbegriff wird synthetisierend praxistheoretisch entwickelt (Reckwitz 2003): 
Praktiken bilden demnach den Kern von Kultur. Einen besonderen Stellenwert erhält 
dabei das praktische Wissen, d.h. ,,ein Können, ein know how, ein Konglomerat von 
Alltagstechniken,  ein  praktisches  Verstehen  im  Sinne  eines  ,Sich  auf  etwas 
verstehen`"  (ebd.,  S.  289).  Reckwitz  geht  es  um  die  Beschreibung  übergreifender 
individuumsunabhängiger  Entwicklungen,  die  über  Praktiken  Modernisierungs-
prozesse voranbringen. 
Für 
kulturdifferente 
Arbeitskontexte 
mit 
differenten 
objektiven 
Ausgangsbedingungen stellt sich nun die Frage: Wie werden Praktiken routinisiert? 
Gehen berufliche und kulturelle Wissensressourcen im Arbeitszusammenhang in die 
Konstitution von Praktiken ein und wie ist dieser Prozess durch Weiterbildung und 
Lernkulturen zu unterstützen?  
Der  Zugang  über  Praktiken  (Reckwitz  2003,  2006)  erlaubt  einen  empirischen 
Zugriff.  Reckwitz  geht  davon  aus,  dass  kollektive  Wissensstrukturen  in  Praktiken 
aufgehoben  sind,  darüber  transportiert  werden  und  aufgrund  dessen  eine  gewisse 
Materialität ausbilden, die sich dann auch in Strukturen, Institutionen und Artefakten 
ausdrückt. Diese Annahmen wendet er durch die Explikation spezifischer Praktiken 
21 
in  eine  ,,praktikengeleitete"  Analyse  der  Beschaffenheit  und  Entwicklung  der 
Moderne (Reckwitz  2006). Praktiken der Arbeit, so die Prämisse der vorliegenden 
Studie  (Robak  2012),  spielen  im  kulturdifferenten  Arbeitskontext  in  Unternehmen 
eine zentrale Rolle. Über Praktiken werden Hybridbildungen erzeugt, die  so ist zu 
vermuten    in  unterschiedlichen  Ländern  je  spezifisch  strukturiert  sind. 
Hybridisierung  meint  bei  Reckwitz,  dass  die  verschiedenen  Phasen  der  Moderne 
unterschiedliche Kodierungen und Erscheinungsformen an Praktiken hervorbringen 
und  diese  jeweils  in  der  zeitlich  darauffolgenden  Phase  neu  verkodet  werden  und 
sich  dadurch  verändern.  Für  die  vorliegende  Untersuchung  wird  dieser 
Hybridisierungsbegriff 
erweitert 
um 
Elemente 
eines 
,,kapitalistischen 
Kulturprogramms"  und  um  spezifische  kulturelle  Differenzen  und  es  wird  danach 
gefragt,  ob  und  wie  diese  in  Unternehmen  in  China  Eingang  in  Praktiken  finden 
(siehe Kap. 2.3).  
Während  für  Reckwitz  der  Ursprung  von  Wissen  und  Können  nicht 
entscheidend  ist  und  er  die  Überindividualität  der  Praktiken  besonders  hervorhebt, 
wird  mit  dem  gewählten  analytischen  Zugriff  davon  ausgegangen,  dass  die 
Individuen einen hohen gestaltenden Anteil an der Ausformung von Praktiken haben 
und deren Konstruktionsprozess unter bildungswissenschaftlicher Perspektive mehr 
Aufmerksamkeit  zu  schenken  ist.  Eine  gewendete  Annahme  ist:  Praktiken  können 
durch  Individuen  verändert  und  hervorgebracht  werden,  sie  können  durch 
Einzelinteressen  auch  beeinflusst  werden.  Zu  klären  ist  die  Funktion,  die 
Lernkulturen und Weiterbildung dafür übernehmen. 
2.2.  Entwicklung  eines  mehrdimensionalen  Analysemodells  im  Modus 
abduktiver Forschungslogik 
Die  übergeordnete  Ausgangsfragestellung  der  Studie  zielt  zum  einen  auf  die 
Analyse  von  Hybridbildungen  im  Arbeitsprozess  und  die  diesen  Prozess 
begleitenden  Lern-  und  Bildungsprozesse  ab.  Zum  anderen  wurden  alle  Lern-  und 
Bildungsmöglichkeiten jenseits des Arbeitskontextes erfragt.  
22 
Insgesamt  wurden  43  Leitfadeninterviews  mit  Expatriates  in  China,  davon  4 
Folgeinterviews  nach  1,5  Jahren  geführt  sowie  8  Leitfadeninterviews  mit 
Personalentwicklern  im  Bereich  Internationale  Personalentwicklung  und 
Trainer/inne/n  im  Bereich  Interkulturalität.  Es  waren  insgesamt  drei 
Interviewformate  notwendig,  die  an  der  Generierung  eines  abduktiven 
Forschungsmodells beteiligt sind:  
1.  Interviews mit Expatriates; 
2.  Interviews  mit  Experten  der  Personalentwicklung,  des  interkulturellen 
Trainings  und  des  Entsendungsmanagements.  Für  jede  dieser  Gruppen 
wurden die Interviewleitfäden angepasst; 
3.  Interviews mit Expatriates, die gleichzeitig Experten im Bereich Sinologie 
sind  und  Auskunft  über  die  Problemlagen  in  Entsendungsprozessen  nach 
China und über den kulturellen Wandel geben können. 
Die  Erstellung,  Weiterentwicklung  und  Durchführung  der  Interviewformate 
war Teil eines abduktiven Forschungsprozesses (Reichertz 2003), d.h. es gab einen 
permanenten 
rekursiven 
Rückbezug 
zwischen 
der 
Entwicklung 
des 
Erhebungsinstruments,  der  Ausarbeitung  der  theoretischen  Grundlagen  und  der 
Entwicklung eines Auswertungsmodells, das sich sukzessive aus den theoretischen 
Grundlagen  konstruiert,  indem  es  parallel  empirisch  entfaltet  wird.  In  einem 
Forschungsprozess, der dieser Logik folgt, stehen der Prozess der Abduktion und die 
Bildung  einer  Hypothese  in  einem  engen  Zusammenhang.  Der  Begriff  der 
Abduktion will der Entstehung kreativer Ideen einen theoretischen Boden geben und 
den dahinter stehenden Prozess nachvollziehbarer machen. Die Abduktion steht am 
Beginn  einer  Erkenntnis.  Sie  führt  zu  einer  Hypothese,  die  es  dann  zu  prüfen  gilt. 
Die Hypothese steht also nicht am Anfang, sondern ist der Endpunkt, das Ergebnis 
eines Abduktionsprozesses. 
Das entwickelte Modell besteht aus drei Prozessebenen:  
· Prozessebene  I:  Psychodynamische  Akkulturation/Anpassung    individuelle 
biographische Bedingungen und Lernvoraussetzungen (wird in diesem Artikel 
nicht erläutert), 
23 
· Prozessebene  II:  Professionalisierung  und  Qualifizierung    individuelle 
Lernformen (siehe Kap. 2.5), 
· Prozessebene  III:  Bildung  und  Kulturalität    individuelle  Zugänge  zum 
kulturellen Lernen und zu kultureller Bildung (siehe Kap. 2.4).  
Den zweiten Teil des Modells bilden folgende entwickelte drei Lerndimensionen:  
· Arbeitspraktiken (siehe Kap. 2.1 und 2.3) 
· Kulturstandards (siehe Kap. 2.3) 
· Deutungsmuster (wird in diesem Artikel nicht erläutert).  
Die  Begründung  für  Arbeitspraktiken  als  Lerndimension  ergibt  sich  aus  der 
theoretischen  Konzeptualisierung  und  der  Festlegung  von  Arbeitspraktiken  als  die 
entscheidende  Analysekategorie  im  Prozess  der  Zusammenarbeit  (siehe  Kap.  2.1). 
Es  interessieren  dabei  besonders  die  Prozesse,  die  zu  einer  Verdichtung  von 
Praktiken führen und sich in Routinen sedimentieren. Kulturstandards wirken in jede 
Form der interaktiven Zusammenarbeit hinein, insofern fließen sie ,,quer" durch alle 
Prozessebenen hindurch und nehmen Einfluss auf die Konstitution von Praktiken als 
sie auch als Gegenstand von Lern- und Bildungsprozessen zu erwarten sind (siehe 
Kap.  2.3).  Deutungsmuster  haben  sich  als  eine  entscheidende  Lerndimension 
herausgestellt. Der Zusammenhang zwischen Erlebnissen, Erfahrungen, Deutungen 
und  Deutungsmustern  ist  leitend  und  essentiell,  um  in  der  Analyse  zu 
rekonstruieren, ob Fähigkeiten des Deutens in fremdkulturellen Kontexten aufgebaut 
werden,  ob  neue  Deutungen  konstituiert  bzw.  Deutungserweiterungen  oder  gar 
Fähigkeiten  fremdkultureller  Deutungsmusterrezeption  aufgebaut  werden  (vgl. 
Dybowski/Thomssen 1976; Arnold 1985; Schüßler 2000).  
Jedes  einzelne  Interview  wurde  entsprechend  dieses  Modells  analysiert,  es 
konnten vier Typen (nach Kluge 1999) gebildet werden:  
· ,,Expat Classico" (siehe Kapitel 3.1) 
· Postmoderne Kosmopoliten (wird in diesem Artikel nicht erläutert) 
24 
· Employability Nomaden (wird in diesem Artikel nicht erläutert) 
· Kosmopolitische Nomaden (siehe Kapitel 3.2). 
Im  Folgenden  werden  weitere  zentrale  Zusammenhänge  des  geschilderten 
Analysemodells erläutert, um im Anschluss zwei Typen näher darzustellen.   
2.3.  Zu den Wirkungsweisen ,,doppelter" Kulturkonzepte  
Betrachten wir Praktiken als kleinste Einheit von Kultur, so ist für kulturdifferente 
Arbeitszusammenhänge  -  wie  hier  für  deutsche  Unternehmen  in  China  -  von  der 
parallelen  Wirksamkeit  zweier  Kulturkonzepte  auszugehen,  die  jeweils 
unterschiedliche Wissensanforderungen produzieren.  
Fokussieren  wir  Arbeitspraktiken,  dann  betrifft  dies  die  Umsetzung 
postbürokratischer  Arbeitspraktiken  im  Übergang  vom  Angestelltensubjekt  zum 
Kreativ-konsumtorischen  Subjekt  (vgl.  Reckwitz  2006).  Da  die  Anforderung  der 
,,Selbstvermarktung"  in  viel  beschriebener  Weise  zunimmt  (siehe  besonders 
Bröckling 2007), der Einzelne als Teil kapitalistischer Strukturen die Anforderungen 
der  Selbstkreation  und  der  unternehmerischen  Marktförmigkeit  annehmen  soll, 
betrachten  wir  das  Subjekt  als  ,,unternehmerisches  Kreativsubjekt",  das  sich  in 
postbürokratische  Arbeitspraktiken  wie  Projektarbeit,  mobiles,  flexibles  und 
digitalisiertes  Arbeiten  mit  einer  hohen  Selbstkontrolle  und  mit  hoher 
kommunikativer  Kompetenz  einsozialisiert  und  die  unternehmerischen  Prinzipien 
für  alle  Lebensbereiche  -  mehr  oder  weniger  widerständig  -  zu  übernehmen  sucht 
(vgl. 
Reckwitz 
2006). 
Mechanismen 
und 
Folgewirkungen 
dieser 
gesellschaftsverändernden  kapitalistischen  ,,Steuerungsintentionen",  die  als 
Metakulturprogramm  bezeichnet  werden  können,  werden  bereits  kritisch  diskutiert 
(vgl.  Boltanski/Chiapello  2003).  Folgen  für  individuelle  Bildungsbiographien  und 
Bildungspartizipation sind noch nicht ausreichend untersucht worden.  
25 
Abb. 1: "Metakulturelles Kapitalistisches Kulturprogramm" (Eigene Darstellung) 
Hybridisierung  als  die  Einübung  in  postbürokratische  Arbeitspraktiken  kann  man 
sich  als  eine  Signatur  unserer  Zeit  vorstellen.  Parallel  zu  diesen  metakulturellen 
Anforderungen müssen die Expatriates mit kulturellen Differenzen umgehen. Diese 
lassen  sich  bezogen  auf  China  mit  Kulturstandards  (Thomas  1996)  umschreiben. 
Kulturstandards  sind  für  Thomas  (ebd.)  der  sozialisierte  Kern  des  kulturellen 
Orientierungssystems. Sie regulieren und leiten die alltägliche Kommunikation und 
das  Handeln.  Werte  bilden  den  Kern.  Kulturstandards  systematisieren 
essenzialistisch  kulturelle  Differenz,  sie  erweisen  sich  jedoch    so  zeigen  die 
Interviews - in der Realität als wirksam. Für den chinesischen Kulturraum wurden 
spezifische  Kulturstandards  entwickelt,  sie  befinden  sich  aufgrund  stattfindender 
Modernisierungsprozesse  im  Wandel.  Als  Grundlagenwissen  finden  sie  in  der 
interkulturellen  Trainingspraxis  Verwendung.  Relevante,  durch  Vorinterviews 
generierte Kulturstandards sind: Hierarchieorientierung, Gesicht wahren und geben, 
ein  Beziehungsnetz  herstellen  und  pflegen.  Zusätzlich  hinzugezogen  wurde  die 
indirekte  Kommunikationsweise.  Als  obsolet  in  den  untersuchten  Unternehmen 
erweist sich z.B. der Kulturstandard ,,Harmonie herstellen".  
Über den kulturellen Standard ,,Gesicht wahren und geben" ist bereits sehr viel 
an  Wissen  vorhanden.  Obwohl  ,,Gesicht"  eine  universelle  Komponente  in  allen 
Interaktionen kulturübergreifend zuzuschreiben ist (Goffman 1966), scheinen damit 
in China besondere soziale Kodierungen von hoher kommunikativer und kultureller 
26 
Reichweite  verbunden  zu  sein.  Sie  beschreiben  ein  Spektrum  an  kommunikativen, 
zum  Teil  strategisch  gestuften  Handlungsstrategien  (Weidemann  2004).  Der 
Kulturstandard  ,,Gesicht  wahren"  wurzelt  in  Vorstellungen  von  höflicher 
Zurückhaltung (Liang 1992; Lee-Wong 2000). ,,Gesicht geben" konstituiert darüber 
hinaus  die  durch  die  konfuzianische  Lehre  vorgegebenen  Respektsbezeugungen 
entlang  hierarchischer  Beziehungsstrukturen  (Liang  1992,  S.  22f.).  Von 
herausragender  Bedeutung  ist  der  Kulturstandard  ,,Beziehungen  herstellen".  Sein 
Stellenwert scheint sukzessive zuzunehmen; alle setzen sich damit auseinander und 
beginnen u.U. damit, sich darin ,,einzuüben".  
Diese  Kulturstandards  formen  im  entwickelten  Modell  eine  eigene 
Lerndimension und sind als Erhebungs- und Analysedimension aufgenommen (vgl. 
auch Robak 2013).  
Die  Expatriates  müssen  mit  diesen  beiden  kulturellen  ,,Programmen",  dem 
,,kapitalistischen 
Kulturprogramm" 
und 
den 
Kulturstandards, 
im 
Arbeitszusammenhang  umgehen,  weil  sie  auf  den  Vollzug  von  Arbeitspraktiken 
einwirken. Sie lassen sich folgendermaßen darstellen:  
Abb. 2: Kulturelle Einflüsse  ,,Kulturstandards" (Eigene Darstellung) 
Auf  der  Grundlage  von  Kulturstandards  wurde  nach  den  Erfahrungen  und 
Deutungen  über  kulturelle  Differenzen  gefragt.  Diese  Erfahrungen  und  Deutungen 
bildeten die Grundlage, um das Einfließen dieser Differenzen in die Arbeitspraktiken 
27 
zu rekonstruieren (in Anlehnung an Reckwitz 2006). Derartige Prozesse verweisen 
auf  kulturelle  Hybridbildungen  und  es  interessierte,  inwiefern  diese  sich 
weiterentwickeln zu hybriden Identitätsausformungen.  
Um 
eine 
Operationalisierbarkeit 
zu 
realisieren, 
musste 
die 
Untersuchungsanlage  mit  einem  empirischen  Differenzbegriff  operieren,  der 
kulturelle  Differenz  als  ,,nationalkulturell"  geprägte  Auslegung  aufnimmt.  Diese 
Essentialisierung  wurde  aufgefangen  durch  theoretische  Grundlagen  und 
Kategorien,  die  interindividuelle  und  intersubjektive  Faktoren  erfassen,  wie  z.B. 
Wissensdifferenzen,  die  aus  Unterschieden  in  der  Ausbildung  resultieren  und 
Differenzen  in  den Arbeitspraktiken.  Darüber  hinaus  wurde  Kultur  als  Gegenstand 
kultureller Bildung eingebunden.  
2.4.  Partizipationstore Kultureller Bildung 
Da Kultur und kulturelles Wissen nicht auf kulturelle Differenz zu reduzieren sind, 
wurde danach gefragt, welche Art kulturellen Wissens sich die Expatriates aneignen 
über Bildung und Qualifizierung.  Diese Frage zielt auf Lern- und Bildungsprozesse; 
d.h.  finden  sich  in  unterschiedlicher  Form  und  mit  unterschiedlichen  Lernformen 
Zugangsportale  zur  kulturellen  Bildung?  Diese  Frage  nimmt  eine  eigene 
Prozessebene  des  Lernens  auf,  sie  heißt:  Bildung  und  Kulturalität    individuelle 
Zugänge  zum  kulturellen  Lernen  und  zu  kultureller  Bildung.  Diese  Prozessebene 
erfasst  nicht  kulturelle  Differenz  in  einem  essentialistischen  Sinne,  sondern  legt 
China  als  kulturellen  Raum,  als  Inhalt  kultureller  Bildung  aus,  der  durch  drei 
empirisch entwickelte Partizipationsportale (vgl. Gieseke u.a. 2005) erschließbar ist:  
(a) 
 verstehend-kommunikativ (z.B. Sprache, Erlernen von Kulturstandards) 
(b) 
 systematisch-rezeptiv (z.B. Auseinandersetzung mit Geschichte) 
(c) 
 selbsttätig-kreativ  (Aneignung  kultureller  Praktiken,  z.B.  ein  Instrument 
erlernen).  
Werden diese Portale durchschritten, ist eine Aussage darüber möglich, ob und 
wie  kulturelles  Wissen  über  China  erworben  wird  und  ob  kulturelle 
Aneignungsprozesse  stattfinden.  Damit  wird  erfasst,  ob  selbstorganisiert  oder  als 
28 
organisierte  Weiterbildung  Wissen  über  China  erworben  wird.  Diese 
Aneignungsprozesse  sind  notwendig,  um    überhaupt  von  kultureller  und  sozialer 
Partizipation zu sprechen.  
2.5  Lernformen  als  ,,Motor"  der  Wissensgenerierung  und  Kernelement  von 
Lernkulturen 
In  der  Studie  werden  zum  einen  die  Anforderungen  des  Arbeitsplatzes  und  seiner 
Aufgabenfelder  und  zum  anderen  die  sich  daran  anschließenden  Formen  der 
Konstitution  von  Arbeitspraktiken  analysiert.  Es  werden  Lernaktivitäten  betrachtet 
und die Rolle, die sie für den Praktikenaufbau und das Individuum spielen. Leitende 
Fragen  sind:  Werden  die  Individuen  am  Arbeitsplatz  begleitet?  Haben  sie 
Möglichkeiten,  sich  in  verschiedenen  Formen  weiterzubilden?  Bietet  das 
Unternehmen  eine  gestaltete  Lernkultur  an,  auf  die  man  zurückgreifen  kann,  oder 
besteht  eine  Lernkultur  aus  den  Möglichkeiten,  die  der  Arbeitsplatz  selbst  im 
engeren  bietet?  Entstehen  unter  Bedingungen  ungestalteter  Lernkulturen  bzw. 
unterstrukturierter Lernkulturen andere Formen individualisierter Bildungskulturen?  
Die ausgewählten Lernformen (siehe Abbildung 3) sind Teil eines entwickelten 
Lernkulturbegriffs,  der  davon  ausgeht,  dass  die  (gestalteten)  Strukturen  von 
Lernkulturen 
Auskunft 
darüber 
geben, 
inwiefern 
Qualifizierung 
und 
Kompetenzentwicklung  in  einem  Unternehmen  gepflegt  werden  (vgl.  Gieseke 
2009). Lernformen sind ein Kernaspekt der abduktiv konzipierten Prozessebene II: 
Professionalisierung und Qualifizierung  individuelle Lernformen.  
Im Rahmen von Transnationalisierungsprozessen ist die Lernkulturstruktur der 
Mutterunternehmen  ausschlaggebend,  da  von  dort  die  politischen  Entscheidungen 
bezogen  auf  das  Personalmanagement  und  die  Personalentwicklung  getroffen 
werden,  die  auch  Entscheidungen  darüber  mit  sich  führen,  ob  Lernkulturen 
kulturübergreifend,  kulturell  ,,gemischt"  oder  kulturspezifisch  angelegt  sind. 
Kulturprogramme und kulturelle Differenzen gehen darin ein.  
29 
Lernformen  sind  ein  zentrales  Strukturmoment  von  Lernkulturen  und  sie 
wirken  auf  die  Optionen  der  Wissensgenerierung  ein  (vgl.  auch  Robak  2011b, 
2012).  
Abb. 
3: Lernformen als Bestandteil des abduktiven Analysemodells der 
Prozessebene II: Professionalisierung und Qualifizierung (Eigene Darstellung) 
Betrachtet  man  die  verschiedenen  Lernformen,  so  sind  organisierte  Formen  als 
systematisches  Lernen  zwar  diskreditiert  worden  (Staudt/Kriegesmann  2000),  sie 
stellen  aber  einen  entscheidenden  Teil  von  Lernmöglichkeiten  bereit  (vgl.  Robak 
2012). Es ist auf die besondere Qualität des systematischen Wissens zu verweisen, 
die  erstaunlicherweise  nicht  mehr  hervorgehoben  wird.  Das  systematische  Wissen 
basiert  auf  dem  wissenschaftlichen  Wissen  und  verfügt  über  die  höchste 
Problemlösekompetenz,  es  impliziert  die  höchstmögliche  Fragehaltung  und  ist 
Ergebnis  operationalisierter  Erschließung  von  Welt  (Eirmbter-Stollbrink/Fuchs-
König  2005,  S.  10).  Der  Verzahnung  von  Arbeiten  und  Lernen  als 
arbeitsplatzbezogenes  Lernen  kommt  eine  anhaltend  hohe  Bedeutung  zu  (vgl. 
Dehnbostel  2008),  die  Transferierbarkeit  von  Wissen  in  Handlungskompetenz  soll 
erhöht  werden  (Severing  1994).  Dies  hat  eine  besondere  Beschäftigung  mit  dem 
informellen  Lernen,  aber  auch  mit  dem  impliziten  Lernen  und  sehr  breit  mit  dem 
selbstgesteuerten  Lernen  forciert.  Es  existiert  dazu  jeweils  eine  breite,  jedoch 
30 
empirisch  nicht  sehr  fundiert  abgesicherte  Literaturlage.  In  Anlehnung  an 
Schiersmann (2006) sollen unter selbstgesteuertem Lernen als Lernform im weiteren 
konkrete  Lernaktivitäten verstanden werden, die der individuellen Erarbeitung und 
Generierung  von  Wissen  und  Fähigkeiten  dienen  und  eine  Organisation  des 
Lernprozesses  aufweisen.  Dazu  gehören  das  mediale  Lernen  und  Formen  des 
arbeitsplatzbezogenen  Lernens,  die  nicht  vorrangig  kommunikativ  informell  sind. 
Für das selbstgesteuerte Lernen wird davon ausgegangen, dass man sich Wissen zu 
einem  Lerngegenstand  eigenständig  erarbeitet.  Der  Erfahrungsaustausch  mit 
Kollegen  und  vielfältige  Formen  der  interaktiven  Eruierung  von  Informationen  im 
relevanten beruflichen Umfeld werden dem informellen Lernen zugeordnet. Lernen 
durch  die  alltägliche  Arbeit  gehört  zum  impliziten  Lernen,  das  in  Anlehnung  an 
Polanyi (1985) Wissen vor allem als selbstreferentielle Form des Erfahrens aufbaut. 
Beim impliziten Lernen wird ein Lernprozess erzeugt, dessen Verlauf und Ergebnis 
den  Lernenden  nicht  bewusst  ist  und  der  nicht  reflektiert  wird.  Lernen  ist  ein 
unbewusster Prozess (ebd.), es ist gänzlich unorganisiert und in das Arbeitshandeln 
integriert.  Man  geht  davon  aus,  dass  ein  Können  als  Ergebnis  impliziter 
Lernbedingungen entsteht, aufgrund von Wahrnehmungen, Handlungen, Erlebnissen 
und  vorreflexiven  Erfahrungen.  Dieser  Prozess  vollzieht  sich  ohne  verbale 
Artikulation und Erfahrungsreflexion (vgl. Neuweg 1999). Das resultierende Wissen 
ist schwer auszudrücken. Alle Lernformen scheinen Stärken und Begrenzungen zu 
haben was die Optionen der Wissensgenerierung betrifft. Es interessiert, auf welche 
Lernformen  die  Expatriates  zurückgreifen  können,  um  sich  Wissen  zu  erarbeiten 
und  Arbeitspraktiken  zu  strukturieren,  um  die  Arbeitsplatzanforderungen  zu 
bewältigen und dabei ihre Professionalisierung zu stärken.  
3.  Exemplarische empirische Ergebnisse 
3.1.  Arbeitspraktiken, Lern- und Bildungsprozesse des klassischen Expatriates 
Die  Konstitution  von  Arbeitspraktiken  ist,  so  zeigen  die  empirischen  Ergebnisse, 
einerseits  eng  an  angeeignete  Wissensstrukturen  gebunden.  Andererseits  ist  in 
kulturdifferenten  Arbeitszusammenhängen  die  Konstitution  von  Wissen  auch  an 
31 
Arbeitspraktiken  gekoppelt.  Dafür  braucht  es  jedoch  Lernkulturen.  Dies  soll  an 
einem Typus verdeutlicht werden. 
Dem  Typus  des  klassischen  Expatriates
3
  wurden  acht  Interviewpersonen 
zugeordnet,  sie  wurden  zum  Teil  zweimal  im  Abstand  von  1,5  Jahren  interviewt. 
Die Auswertung erfolgte entlang des abduktiv entwickelten Modells, das in Kap. 2 
auszugsweise dargestellt ist.  
Zu  den  exemplarischen  Ergebnissen:  Diese  akademisch  ausgebildete  immer 
jünger  werdende  Gruppe  arbeitet  in  globalen  deutschen  Unternehmen.  Für  den 
Zeitraum  von  ein  bis  fünf  Jahren  bekleiden  sie  wichtige  Schlüsselpositionen  und 
sollen  Abteilungen  oder  Bereiche  aufbauen  oder  umstrukturieren.  Sie  interessieren 
sich  nicht  für  die  Kultur  des  Landes,  eine  Entsendung  ist  auch  nicht  immer  ihr 
Wunsch, sie sehen aber Chancen in den äußerst herausfordernden Arbeitsaufgaben, 
die sie in China angeboten bekommen. Die Ausschreitung der eigenen Qualifikation 
ist eine Hauptmotivation. Die Expatriates hoffen, sich darüber für einen Aufstieg im 
Mutterunternehmen zu empfehlen. Dies kann jedoch nicht mehr garantiert werden.  
Der Anteil chinesischer Mitarbeiter/innen vor Ort ist sehr hoch. Gerade Joint-
Venture-Unternehmen erfordern eine enge Kooperation mit chinesischen Kollegen. 
Besonders  auf  allen  Managementebenen  ist  die  Entscheidungsbefugnis  der 
deutschen  Partner  begrenzt  und  nur unter  Zustimmung  Aller sind z.B.  strategische 
und  Personalentscheidungen  zu  treffen.  Trotzdem  sind  die  Handlungsspielräume 
sehr  groß  und  die  Expatriates  schöpfen  ihre  Leistungspotentiale  durch  ihr  im 
Studium und im Mutterunternehmen erworbenes Wissen voll aus.  
Sie  orientieren  sich  für  die  vertraglich  geregelte  Aufgabe  der  Entsendung  an 
den  Normen  und  Vorstellungen  des  Mutterunternehmens.  Diese  Gruppe  hat  das 
,,kapitalistische  Kulturprogramm"  verinnerlicht:  Die  Norm  der  Selbstaktivierung 
muss  in  China  noch  verstärkt  werden,  da  sie  gleichzeitig  vermittelt  werden  muss. 
Arbeitsprozesse  sind  von  Beginn  an  in  höchstem  Maße  mit  Wissensvermittlung 
3
 Diese Gruppe wird für ein bis fünf Jahre nach China entsendet. Die untersuchten Expatriates arbeiten in deutschen 
global operierenden Großunternehmen in leitenden Funktionen, überwiegend in produzierenden Unternehmen  
Autobau, Hochtechnologie im Bereich Haushalts- und Industriegeräte, Lichtmanagementsysteme, Mikroskope oder 
Hochgeschwindigkeitsweichen. Vertreten ist auch ein Finanzunternehmen. 
32 
verbunden;  d.h.  die  Expatriates  versuchen,  die  Arbeitspraktiken  ihrer 
Mitarbeiter/innen  dahingehend  zu  beeinflussen,  dass  sie  Form  und  Struktur  der 
mitgebrachten  Arbeitspraktiken  der  Expatriates  ,,mitlernen".  Grundlage  dessen  ist 
die  implizite  Vermittlung  des  Selbstaktivierungsdispositivs,  d.h.:  Die  als  ,,passiv" 
interpretierte  Aktivierungsform  auf  Seiten  der  chinesischen  Mitarbeiter/innen 
möchte man sukzessive umformen. Ein ungeahntes und unvorbereitetes Höchstmaß 
an Kommunikation und Wissensvermittlung wird dafür betrieben. 
Abb. 4: Lernformen und Praktikenkonstitution für Hybridbildungen des Expat 
Classico (Eigene Darstellung) 
Wie  Abb.  4  zeigt,  erweisen  sich  Arbeitspraktiken  für  diese  Gruppe  als  die 
entscheidende  Lerndimension  (rechte  Seite  der  Abbildung).  Die  Konstitution  von 
Arbeitspraktiken steht im Zentrum der Aktivitäten, dies realisiert sich vor allem über 
einen  Modus  der  Durchsetzung  und  einen  Modus  der  Angleichung.  Lernprozesse 
finden parallel statt, die Wissensgenerierung realisiert sich vor allem über implizites 
Lernen,  das  unmittelbar  passfähiges  Wissen  über  Lern-Handlungs-Einschlüsse 
(Learning-action- Inclusions?) in Arbeitspraktiken einlässt. Die Gleichschaltung von 
Arbeits-  und  Lernprozessen  ermöglicht  nur  schwer  einen  systematischen 
Wissensaufbau.  
33 
Die  grundlegende  Hybridbildung,  die  ,,Umformung"  der  Aktivierungsform 
speist  sich  aus  der  Vermittlung  postbürokratischer  Arbeitspraktiken,  die  an  den 
Globalisierungsstrategien, 
Organisationsstrukturen 
und 
Werten 
des 
Mutterunternehmens  ausgerichtet  wird.  Man  könnte  dies  an  der  Einführung  von 
Projektarbeit, die in China das Verständnis von Arbeit und den Kulturstandard der 
Hierarchie durchkreuzt, plastisch beschreiben.  
Es  lassen  sich  vier  Praktiken  der  Expatriates  extrahieren,  die  für  die 
Konstitution  hybrider  Praktiken  eingesetzt  werden.  Hybridisierung  bedeutet  an 
dieser  Stelle,  dass  die  vorgefundenen  Praktiken  der  chinesischen  Mitarbeitenden 
nicht  einfach  ersetzt  werden,  sondern  sie  werden  gesteuert  umgeformt:  Die 
entscheidende  Praktik  ist  dabei  die  Wissensinjektion
4
.  Die  eigenen 
Arbeitshandlungen  werden  in  der  Weise  routinisiert,  dass  sie  gezielt  in  der 
Kommunikation  Wissen  transportieren.  Fachwissen  und  Prozessstrukturwissen 
müssen  die  Expatriates  so  erläutern  -  oftmals  in  Englisch  oder  per  Übersetzung  -, 
dass  es  sowohl  systematisch  als  auch  im  Handlungszusammenhang  des 
unmittelbaren 
Arbeitsprozesses 
angeeignet 
werden 
kann. 
Da 
die 
Aneignungsprozesse  und  -ergebnisse  des  Gegenübers  nicht,  wie  im  europäischen 
Kontext,  abgefragt  werden  können,  muss  die  Wissensinjektion  oft  und  in 
kontinuierlichen  Abständen  wiederholt  werden.  Die  Absicherung  des  eigenen 
Wissensüberschusses  ist  dafür  eine  zentrale  Voraussetzung.  Nur  der  Erhalt 
abstrakter  fachlicher  Wissensstrukturen  sichert  Beruflichkeit  in  mittel-  bis 
langfristiger  Perspektive.  Mit  dem  Ausgleich  der  Wissensstrukturen  nach  ein  paar 
Jahren  kann  ein  persönlicher  Kompetenzverlust  einsetzen,  der  aus  mangelnden 
Möglichkeiten des Wissenserwerbs und aus Leistungsabschöpfung resultiert.  
Die  zweite  Praktik  ist  der  parallelisierende  Strukturaufbau  durch 
Entscheidungen, d.h. die Expatriates orientieren sich für Strukturentscheidungen am 
Mutterunternehmen und stimmen diese daraufhin ab. Die dritte Praktik, dominante 
4
 Der Begriff der Wissensinjektion ist empirisch gewonnen und bringt zum Ausdruck, dass die Tätigkeit der 
Expatriates so erweitert ist, dass diese für alle entscheidenden Prozesse sowohl intentional als auch implizit über 
unterschiedliche Formen der Kommunikation Wissen in Arbeitsprozesse einfließen lassen und damit permanent an 
der Veränderung und Konstitution von Arbeitspraktiken entscheidend mitwirken. 
34 
Kommunikationskonstellationen  schaffen,  sichert  den  Machterhalt  innerhalb  von 
Joint-Venture-Unternehmen;  d.h.  für  Arbeitszusammenhänge,  insbesondere  für 
Entscheidungen,  Prozessentwicklungen  und  interne  Gremien  werden  die 
Kommunikationspartner gezielt ausgesucht, Positionen genauestens abgestimmt, um 
entsprechende Dominanzen für Interessensdurchsetzung herzustellen. Diese Praktik 
setzen  die  deutschen  Expatriates  besonders  dann  ein,  wenn  die  eigenen 
Entscheidungsbefugnisse  eingeschränkt  sind  oder  man  chinesische  Hierarchien 
umgehen  möchte.  Die  Etablierung  von  Unternehmenskulturen  und  die  Installation 
von  Werten  bilden  eine  eigene  Praktik  (vier)  aus.  Diese  vier  Praktiken  realisieren 
Hybridbildungen vor Ort über faktisch geschaffene Strukturen und Arbeitspraktiken.  
Organisiertes  Lernen  als  Form  der  Wissenszufuhr
5
  ist  überwiegend  nicht 
ausreichend gesichert. Aus diesem Grund haben die Expatriates große Mühe Wissen 
zu  generieren,  geschweige  denn  separate  Praktiken  der  Wissensgenerierung  zu 
entwickeln.  Von  Ausnahmen  abgesehen,  gestalten  die  Unternehmen  keine 
länderübergreifenden  Lernkulturen.  Oftmals  sind  die  internen  Netzwerke, 
insbesondere zum Mutterunternehmen, die einzigen Wissensressourcen. Informelles 
Lernen erhält deshalb einen hohen Stellenwert, weil keine systematischen Angebote 
vor Ort vorhanden sind.  
Gleichzeitig  entwickelt  sich  durch  Forschung  und  Entwicklung,  besonders  im 
Hochtechnologiebereich,  in  den  Unternehmen  ein  Know  How,  das  als 
unternehmensspezifisches  Wissen  einen  eigenen  hohen  Stellenwert  hat.  Dieses 
gelangt dann nur über die Expatriates und funktionierende Netzwerke  nach China. 
Institutionalisierte Strukturen der Wissenszufuhr sind nicht ausreichend geschaffen.  
Vier  Wissensbereiche  haben  sich  als  besonders  relevant  herauskristallisiert: 
unternehmensspezifisches  Know  How  (entwickelte  Verfahren,  Prozesse, 
Produktstrukturen  und  Produktwissen),  technisches  und  technologisches 
Grundlagenwissen,  fachliches  Grundlagenwissen,  Schlüsselqualifikationen  und 
5
 Der Begriff der Wissenszufuhr ist ebenfalls empirisch gewonnen und bringt zum Ausdruck, dass Wissensressourcen 
durch unterschiedliche Lernangebote und Lernmöglichkeiten abgesichert bzw. nicht abgesichert werden, die nicht 
dem unmittelbaren Arbeitsprozess dienen und für die individuelle Entwicklung von Beruflichkeit genutzt werden 
können.  
35 
kulturelles  Wissen  im  umfassenden  Sinne.  Keine  dieser  Wissensressourcen  ist 
ausreichend über Lernkulturen gesichert.  
Lernen  im  Prozess  erweist  sich  als  ein  Vorgang,  bei  dem  vor  allem  implizit 
über  Erfahrungen  ,,getestet"  wird,  ob  das  eigene  Wissen  greift,  ob  das  vermittelte 
Wissen individuell und strukturell ankommt und gewünschte Prozesse freisetzt.  
Ein Wissensrückfluss, gewissermaßen aus der Antizipation, Analyse und dem 
Verstehen  der  fremdkulturellen  Praktiken  heraus,  findet  nur  bei  einigen 
fragmentarisch  statt,  wenn  ein  kulturelles  Lerninteresse  aufgebaut  wird.  Die  in 
Kapitel  2.2  genannten  Kulturstandards  eignet  sich  diese  Gruppe  nicht  wirklich  an. 
Sie  werden  entweder  nur  partiell  verstanden  oder  strategisch  zum  Erreichen  der 
eigenen  Ziele  eingesetzt,  wenn  man  Kulturstandards  rudimentär  zur  Kenntnis 
genommen hat. Es wird aber jeweils nur eine strategische Auslegung gelernt und es 
werden überwiegend strategische Erfahrungen im Umgang damit gemacht. Dies gilt 
besonders für den Kulturstandard ,,Beziehungen herstellen".  
Formen kultureller Bildung finden sich bis auf wenige Grundlagensprachkurse, 
die  von  einigen  besucht  werden,  nicht.  Keines  der  drei  Partizipationsportale  wird 
wirklich  durchschritten.  Dadurch  erhalten  die  Expatriates  keinen  Zugang  zur 
chinesischen Realität, sie haben nur äußerst begrenzt an chinesischen Lebenswelten 
teil. Die Bindung ans Unternehmen ist dann noch größer. Die Expatriates bemerken 
in  den  Prozessen  der  permanenten  Wissensinjektion  nicht  ihren  eigenen 
Qualifikationsverlust, der erst nach Rückkehr als Wissensverlust spürbar wird.   
Mangelnde  kulturelle  Bildung  und  die  beschleunigten  kapitalistischen 
Entwicklungen  in  China  verhindern  die  Erweiterung  von  Deutungen  und 
Interpretationsmöglichkeiten.  Die  Arbeitsstrukturen  und  die  modellierten 
routinisierten  Praktiken  verselbständigen  sich.  Über  die  Konstitution  und 
Modellierung von Praktiken haben die Expatriates die Interessen der Unternehmen 
gesichert,  ein  impliziter  Effekt  der  Machtsicherung.  Ihre  eigenen  Praktiken  jedoch 
haben sich ebenfalls ,,deformiert", was sich nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 
als  schwierig  erweist.  Aus  diesem  Grunde  sollte  ein  Aufenthalt  aus  Sicht  der 
Unternehmen  wohl  fünf  Jahre  nicht  überschreiten.  Die  Unternehmen  ihrerseits 
36 
bemühen 
sich, 
um 
unliebsame 
Anpassungen 
zu 
vermeiden, 
über 
Unternehmenskulturen  um  eine  gesteuerte  Annäherung  an  fremdkulturelle 
Standards.  Die  von  den  Expatriates  interpretierten  Differenzen  betreffen  jedoch 
besonders  die  Wissensgrundlagen  und  die  Arbeitspraktiken.  Da  diese  Differenzen 
auf  mangelnde  Standards  in  der  chinesischen  Hochschulausbildung  zurückgeführt 
werden,  besonders  in  den  Bereichen  Marketing,  Qualitätssicherung  und 
übergreifende  Fachstrukturen,  bleibt  der  Fokus  auf  Wissensvermittlung  und 
gesteuerte Hybridbildung erhalten. Dies korelliert mit einem geringen Interesse die 
chinesische Sprache zu lernen. Die systematischen Zusammenhänge der historischen 
Entwicklung  und  die  jüngere  Geschichte  Chinas  bleiben  im  Dunkeln.  Eine 
beobachtend-begleitende  oder  gar  kritisch-analytische  Sicht  auf  gesellschaftliche 
Entwicklungen bleibt aus. Durch die kulturelle Leerstelle kann Wissen so nicht über 
Praktiken,  die  ,,aus  chinesischen  kulturellen  Quellen"  stammen,  an  die  Expatriates 
zurückfließen. Die Sicherung von Macht über Wissensstrukturen hat die Kehrseite, 
dass Wissensstrukturen aus dem ,,fremdkulturellen System" nicht antizipiert werden 
können. Es finden sich auch viele Belege dafür, dass Wissen vorenthalten wird, dies 
gilt für alle beteiligten Akteure der verschiedenen Kulturen.  
3.2.  Arbeitspraktiken,  Lern-  und  Bildungsprozesse  der  Kosmopolitischen 
Nomaden 
Die  Kosmopolitischen  Nomaden  suchen  die  Fremde  und  wollen  in  China  ,,dabei 
sein".  Sie  haben  ihren  Weg  nach  China  von  langer  Hand  vorbereitet.  Dabei  steht 
nicht  nur  die  Karriereorientierung  im  Vordergrund.  Die  Kultur  und  die 
gesellschaftspolitischen Entwicklungen sind von besonderem Interesse. Man möchte 
die  wirtschaftlichen  Entwicklungen  mitgestalten  und  dabei  lernen,  wie 
Geschäftsbeziehungen  in  China  funktionieren.  Diese  Gruppe  geht  nach  China  mit 
zeitlich  offenem  Horizont  und  bleibt  über  längere  Zeiträume,  bisweilen  bis  zu  15 
Jahre, dort. China ist für sie eine Station unter anderen. Sie haben bereits in anderen 
Ländern  gelebt,  wechseln  zwischen  Ländern  und  auch  Orten  in  China,  die  sie 
interessant finden. Dabei folgen sie nicht vordergründig der Arbeit, sondern ihrem 
37 
Interesse  an  der  jeweiligen  Kultur  und  an  der  Lernhaltigkeit  und  dem 
Handlungsspielraum  der  Arbeitsstelle.  Insgesamt  wurden  vier  Personen  diesem 
Typus zugeordnet. Alle sind im mittleren Erwachsenenalter, nicht älter als Mitte 40, 
sie sind hochqualifiziert, einige sind doppelt qualifiziert, haben wirtschaftsbezogene 
Fächer,  z.T.  in  Kombination mit  Regionalwissenschaften,  studiert.  Internationalität 
wird  bewusst  in  der  Bildungsbiographie  angelegt,  z.B.  indem  international  an 
verschiedenen  Standorten  studiert  wurde.  Die  chinesische  Sprache  wurde 
vorbereitend  gelernt,  entweder  im  sinologischen  Studium  oder  vor  Beginn  einer 
Tätigkeitsaufnahme.  Sehr  gut  ausgebildet  beginnen  sie  ihre  Karriere  in  großen 
multinationalen  Unternehmen  und  arbeiten  sich  sukzessive  nach  oben  in  leitende 
Positionen,  bis  hin  zum  Top-Management.  Studium,  Auslandsaufenthalte, 
Berufseinstieg sind miteinander verwoben und erfolgten zum  Teil bereits in China 
oder in anderen Ländern. Entsendungen nach China erfolgen auf eigenen Wunsch, 
die  eingenommenen  Positionen  vor  Ort  sind  leitend  und  besonders 
verantwortungsvoll,  d.h.  sie  leiten  z.B.  große  strategisch  wichtige  Abteilungen, 
haben  übergreifende  Regionalverantwortung  oder  leiten  Firmen(bereiche).  Sie 
schätzen besonders die Gestaltungs- und Handlungsspielräume und wollen sich als 
Allrounder, aber gleichzeitig auch spezialisiert, individuell weiter entwickeln.  
In China lässt sich diese Gruppe sehr eng auf die kulturellen Bedingungen vor 
Ort  ein,  sucht  geradezu  verschiedene  Erfahrungsräume  für  sich  zu  öffnen,  um  die 
eigenen  Fähigkeiten  auf  hohem  Niveau  auszuschreiten.  Dabei  begreifen  die 
kosmopolitischen Nomaden das fremdkulturelle Umfeld als Inspiration, nähern sich 
den  chinesischen  Bedingungen  beruflich  und  privat  an.  Diese  Gruppe  gilt  als 
erfolgreiche  ,,Globalisierer"  mit  Expertenstatus.  Trotz  aller  Verbundenheit  mit  den 
anstellenden Unternehmen behalten sie immer eine relationale Unabhängigkeit, die 
sie  durch  individuelle  Kompetenzentwicklung  und  Expertise,  welche  sowohl 
fachlich als auch kulturell gespeist ist, sichern.  
Kultur  wird  für  sie  Inhalt  und  Struktur,  die  Arbeitsfelder  verlangen  die 
Integration kulturellen Wissens und das Beherrschen chinesischer Umgangsformen. 
Im Arbeitszusammenhang praktizieren sie eine mimetische Hybridbildung, d.h. sie 
38 
integrieren gezielt kulturelle Elemente und generieren neue Praktiken. Sie tun dies 
von  allen  Typen  am  intensivsten  und  gezielt.  Man  überlässt  sich  keiner 
fremdkulturellen  Überdetermination  und  will  auch  nicht  einseitig  Praktiken  und 
Strategien  des  Mutterunternehmens  durchsetzen,  sondern  generiert  gezielt  hybride 
Praktiken, indem fremdkulturelle Elemente angeeignet und kreativ in neue Praktiken 
über Modi des Angleichungshandelns eingelassen werden.  
Diese  Gruppe  realisiert  die  breitesten  Formen  an  Hybridbildungen, 
selbstbezogene  wie  auch  vermittelte.  Hybridbildungen  sind  in  vierfacher  Weise 
nachweisbar  und  reichen  von  der  Annahme  bereits  hybrider  Formen  der 
Selbstaktivierung, die aus dem ,,kapitalistischen Kulturprogramm" stammen, bis hin 
zur  mimetischen  Integration  kultureller  Aspekte  durch  Sprache  und  kulturelle 
Wissensaneignung.  Kulturstandards  werden  interpretiert,  differenziert  und  mit 
Deutungsmustern verbunden, neue Deutungsmuster formen sich aus, über die  man 
in  der  Interaktion  verfügt.  Das  Besondere  dieser  Gruppe  ist,  dass  sie  auch 
postbürokratische Arbeitspraktiken transportiert und Selbstaktivierung umsetzt, dies 
aber  unter  Berücksichtigung  kultureller  Aspekte  realisiert.  Die  Kosmopolitischen 
Nomaden  greifen  dafür  auf  alle  vorhandenen  Wissensstrukturen  zu,  um  das 
notwendige Wissen zu verkoppeln und in Arbeitsprozesse einzugeben. Sie brauchen 
sich und die eigenen Ressourcen und Wissenspotenziale jedoch nicht auf, indem sie 
all  ihr  Wissen  abgeben,  sondern  sie  sorgen  für  Wissensgenerierung  und 
Wissensbeschaffung  (siehe  Abb.  5).  Die  Verbindung  aller  Wissenspotenziale  und 
die  Integration  kulturellen  Wissens  führen  dazu,  dass  eine  weitere 
Kompetenzentwicklung und Professionalisierung einsetzt. Die Fähigkeit mimetische 
Hybridbildungen  zu  realisieren  lässt  Wissensrückflüsse  entstehen  und  die  flexible 
Partizipation  an  weltweiten  Qualifizierungsangeboten  sowie  die  Fähigkeiten  des 
Selbstlernens und Austausches sichert langfristig notwendige Wissensgrundlagen.  
39 
Abb. 
5: Lernformen und Praktikenkonstitution für Hybridbildungen der 
Kosmopolitischen Nomaden (Eigene Darstellung) 
Die  Kosmopolitischen  Nomaden  gestalten  ihre  Lernprozesse  autonom  und 
unabhängig.  Sie  bringen  ebenfalls  ihr  Wissen  in  Arbeitsstrukturen  ein,  jedoch 
schichten  sie  gleichzeitig  ihr  Wissen  auf.  Alle  Lernformen  sowie  verschiedene 
Wissensressourcen  und  Wissensformen  werden  aktiviert  und  genutzt.  Es  fließen 
fachliches  Wissen,  unternehmensspezifisches  Wissen  und  kulturelles  Wissen  ein. 
Sie  sind  die  einzige  Gruppe,  die  den  Praktikenaufbau  in  dieser  gekoppelten  Form 
realisieren  kann.  Kulturelles  Wissen  ermöglicht  kulturformende  Hybridbildungen 
über mimetische Hybridbildungsprozesse.  
Die  Arbeitsprozesse  zeichnen  sich  durch  eine  besondere  Kombination  von 
Wissensverknüpfungen  aus.  Kulturelle  Differenz  wird  mittels  Hybridbildungen 
gezielt eingebunden. Dafür wird der Angleichungsmodus als Kulturkonstitution mit 
dem  Durchsetzungsmodus  in  besonderer  Weise  verbunden.  Es  realisieren  sich 
eigene kulturelle Räume, die Neues entstehen lassen.  
Diese  Gruppe  verfügt  über  Lernkulturen,  auf  die  sie  zugreifen  kann,  sie  hat 
aber  vor  allem  auch  ein  individuelles  Repertoire  an  Lernformen,  das  flexibel 
aktiviert  wird.  Dabei  achten  alle  auf  die  Balance  der  Lernformen,  um  sowohl 
benötigtes Wissen zu generieren als auch einen transferierbaren Wissensüberschuss 
zu sichern.  
40 
Wer  in  einem  Karriereförderprogramm  ist,  hat  in  Abständen  Assessments  zu 
durchlaufen  und  bestimmte  Qualifizierungen  nachzuweisen.  Arbeits-  und 
Lernprozesse  dieser  Gruppe  sind  getrennt  ausgewiesen  und  sichern  eine 
transferierbare Kompetenzentwicklung (siehe Abb. 6).  
Die  eigene  Kompetenzentwicklung  erfolgt  sukzessive,  diese  reicht  von 
Seminaren in Europa und in den USA, über Angebote in Institutionen vor Ort und 
Einzelcoachings bis hin zur eigenständigen Wissenserarbeitung durch Fachliteratur. 
Zeitressourcen werden dafür eingeräumt.  
Abb. 6: Lernprozesse der kosmopolitischen Nomaden zwischen individualisierten 
Bildungsräumen und Lernkulturen (eigene Darstellung) 
Insgesamt  muss  eher  von  kulturübergreifenden  individualisierten  Bildungsräumen 
für  diese  Gruppe  gesprochen  werden,  die  zwar  durchaus  auf  Lernkulturen  im 
Unternehmen  und  institutionalisierte  Unterstützung  vor  Ort  in  China  zurückgreift, 
jedoch  in  gleicher  Weise  individualisierte  Formen  des  Lernens  nutzt  und  dafür 
globale Optionen der Bildungspartizipation punktuell und gleichzeitig systematisch 
in Anspruch nimmt (Abb. 6).  
41 
Die  Kosmopolitischen  Nomaden  kennen  die  Kulturstandards,  haben  zum  Teil 
langjährige Erfahrungen damit und können dieses Wissen in ihr Handeln integrieren, 
zum  Teil  ist  es  einsozialisiert,  d.h.  bereits  zur  ,,zweiten  Haut"  geworden. 
Gleichzeitig  entwickeln  sie  eine  kritische  Distanz  dazu.  Kritische  Einschätzungen 
scheinen aus dem kulturellen Wandel in China zu resultieren. Der kulturelle Wandel 
im  Land  bringt  Ungleichmäßigkeiten  und  Deformationen  in  der  interaktiven 
Nutzung  der  Kulturstandards  hervor.  Zu  den  Erfahrungen  im  Umgang  mit 
Kulturstandards sind eigene Deutungen konstruiert worden, der Umgang mit ihnen 
ist nicht vordergründig instrumentell, sondern wird in differenzierter Weise gepflegt. 
Kulturelles  Wissen  reicht  weit  über  die  Kulturstandards  hinaus.  Besondere 
Bedeutung erhält aber auch hier der Kulturstandard der Beziehungspflege, welcher 
in besonders ausdifferenzierter Weise kultiviert wird.  
Kulturelle Bildung findet vor Ort in China auch bei dieser Gruppe nicht statt. 
Jedoch  finden  sich  Formen  kulturellen  Lernens  bzw.  kulturelles  Wissen  bei  dieser 
Gruppe am breitesten bis hin zu einer wissenschaftlichen sinologischen Ausbildung. 
Kulturelles  Wissen  ist  ein  Kernbereich  des  professionellen  Wissens,  es  bildet  eine 
Grundlage  zur  Ausübung  der  Tätigkeit.  Die  Geschäftsprozesse  und  die 
Markterschließung stehen im Mittelpunkt. Die kosmopolitischen Nomaden besitzen 
nicht nur allgemeines und systematisches Wissen über China, sondern auch Wissen 
über  Wirtschaft,  Wirtschaftsstrukturen,  fachliche  Differenzen  und  gesellschaftliche 
Entwicklungen. Es ist auch wichtig, politische Entscheidungsprozesse verstehen zu 
können,  um  mögliche  Folgen  für  Unternehmen  abzuwägen.  Der  verstehend-
kommunikative Zugang der Wissenserschließung spielt eine entscheidende Rolle für 
die kulturelle Aneignung. Sprache ist das wichtigste Tor zum Kulturverstehen, zur 
Professionalisierung  im  Arbeitszusammenhang  und  zur  Ausübung  einer 
mimetischen Hybridbildung. Vor Ort ist eine systematisch-rezeptive Beschäftigung 
insgesamt  rudimentär.  Findet  sie  statt,  ist  sie  selbstgesteuert,  nicht  in  Formen 
organisierter  Bildung  und  dient  wirtschaftlichen  Aufgabenfeldern.  Ein  selbsttätig-
kreativer Zugang zur Erschließung von Kultur wird nur von einer Person praktiziert.  
42 
Die  Kosmopolitischen  Nomaden  erfahren  China  als  einen  Lern-  und 
Bildungsraum,  den  sie  durch  Erfahrungen  und  Wissensgenerierung  erschließen. 
Lern- und Bildungsprozesse folgen einerseits einer Verwertungsorientierung, indem 
das  generierte  kulturelle  Wissen  in  Wirtschaftsprozesse  eingelassen  wird,  und  sie 
bieten  andererseits  Möglichkeiten  der  individuellen  Entfaltung,  die  besonders  aus 
den  anspruchsvollen  und  verantwortungsvollen  Leitungsaufgaben  resultieren  und 
aus  den  Erfahrungen  der  mimetischen  Kulturkonstitution.  Sie  ziehen  also  einen 
besonderen  Gewinn  daraus,  dass  sie  einen  intersubjektiven  Umgang  mit 
chinesischen Mitarbeitern und Kollegen und über diese hinaus entwickeln und sich 
breitere  Ausschnitte  der  chinesischen  Realität  erschließen  als  jede  andere  Gruppe. 
Eine  Rückkehr  nach  Deutschland  bzw.  Europa  kann  aufgrund  der  Erfahrungen 
großer  Handlungsspielräume  und  Entscheidungskompetenzen  schwierig  werden, 
dieses  wird  auch  nur  von  einer  Person,  die  eine  Familie  hat,  anvisiert.  Dabei 
entwickeln  die  Betreffenden  eine  sinisierte  Tönung  des  subjektiven  Kerns. 
Gedeutete Differenzen lösen sich auf und sind als hybride Struktur ins Handeln und 
in  die  Praktiken  eingeflossen.  Dies  macht  eine  hybride  Kulturalität  aus,  d.h.  die 
kosmopolitischen  Nomaden  können  sich  partiell  als  zugehörig  empfinden  und 
verarbeiten diese Erfahrung als individuelle Stärke.  
Angesichts der Breite und Intensität ihrer Erfahrungsfelder erarbeiten sie sich 
das  breiteste  Deutungswissen.  Die  intensive  sowohl  fachliche  als  auch  kulturelle 
Beschäftigung  eröffnet  ein  breites  Spektrum  an  Deutungszugängen  bis  hin  zum 
transkulturellen  Perspektivwechsel  als  die  Fähigkeit,  die  Deutungssysteme 
wechselweise  zu  verstehen  und  zwischen  ihnen  zu  wechseln.  Anerkennung 
entwickelt  sich  im  Prozess  durch  die  Bereitschaft  zur  mimetischen  Hybridbildung, 
in  die  sich  der  kulturell  Andere  mit  seinem  Wissen  und  seinen  Arbeitspraktiken 
einbringen  kann.  Das  gemeinsame  Handeln  und  die  gemeinsame  Konstitution  von 
Wissen  mit  der  Haltung  und  Bereitschaft,  involvierte  Beziehungen  zu  pflegen, 
lassen  wechselseitig  Vertrauen  entstehen.  Erst  das  Überschreiten  der 
Kulturstandards,  welche  an  strategischen  Positionen  festhalten,  ermöglicht  einen 
43 
Vertrauensbildungsprozess,  da  sich  Intersubjektivität  in  der  kontinuierlichen 
Interaktion aufbaut und Wirklichkeit in Form von Alltagswissen formt.  
Transnationalität,  Expertise,  große  Verantwortungsbereiche  und  das  breite 
Erfahrungsspektrum  aufgrund  kultureller  Annäherung,  an  der  die  verschiedenen 
Akteure partizipieren, setzen  Kreativität frei, geben Selbstvertrauen und können in 
eine  reflexive  Kulturalität  münden    die  Fähigkeit  sich  distanziert  einzubetten, 
kulturell  zu  verorten  und  eine  individuelle  Bereicherung  zu  erfahren  und  zu 
bilanzieren.  
Kosmopolitismus  ist  also  nicht  vorgeprägt,  sondern  auf  der  Grundlage  von 
berufs- und bildungsbiographischer Gestaltung, Wissen und Erfahrungen erarbeitet.  
4.  Fazit: Zur Notwendigkeit transnationaler Lernkulturen  
Die  Gruppe  der  Expat  Classico  und  der  Kosmopolitischen  Nomaden  bauen 
unterschiedliche  Aspirationen  und  Motivationen  für  eine  Entsendung  auf,  haben 
unterschiedliche  Arbeitsplatzanforderungen  und  nutzen  unterschiedliche  Optionen 
der Lernkulturgestaltung.  
Am  Beispiel  der  Expat  Classico  wird  folgendes  sichtbar:  Weiterbildung  in 
deutschen  global  operierenden  Unternehmen  in  der  VR  China,  so  ein  Fazit,  ist 
unterentwickelt.  Die  Informalisierung  von  Wissenserwerb  und  Lernen  birgt  zum 
einen biographische Gefahren des Kompetenzverlustes, zum anderen wird kreative 
Innovationsförderung nicht unterstützt. Hinzu kommt, dass die kulturellen Chancen 
ungenutzt  bleiben:  Sozialität  und  Deutungsverschränkungen  als  Gestaltung 
gesellschaftlicher  Verflechtungen  können  so  nicht  realisiert  werden,  sie  sind  gar 
nicht im Blick.  
Hybridisierungen,  die  verschiedene  Wissensressourcen  aufnehmen,  bergen 
unbekannte  Potentiale  für  die  Wissensgenerierung.  Dies  erfordert,  dass 
transnationale  länderübergreifende  Lernkulturen  gestaltet  werden,  die  sowohl  die 
langfristige  Beruflichkeit  im  Blick  haben  als  auch  die  unmittelbaren 
Arbeitsplatzanforderungen  und  darüber  hinaus  die  verschiedenen  Zugänge  des 
kulturellen Lernens. Eine Fokussierung auf punktuelle interkulturelle Trainings reicht 
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nicht  aus  wie  auch  das  Aussetzen  jeglicher  Personalentwicklung  nicht  durch 
informelles  Lernen  selbst  aufgefangen  werden  kann.  Transnationale  Lernkulturen 
behalten  die  Individuen  in  ihren  qualífikatorischen  Voraussetzungen,  kulturellen 
Gebundenheiten  und  möglichen  berufsbiographischen  Optionen  im  Blick  und 
offerieren ein Angebotsspektrum, das sowohl organisierte Formen der Weiterbildung 
als  auch  arbeitsplatzbezogene  umfasst.  Wichtig  ist  es  dabei,  Arbeits-  und 
Lernprozesse voneinander zu entkoppeln, dafür braucht es Zeitressourcen. Kulturelle 
Bildung  und  kulturelles  Lernen  sind  in  einem  breiteren  Verständnis  als  Teil  der 
Lernkultur zu fassen und können nicht auf kulturelle Differenz reduziert werden.  
Transnationalisierungsentscheidungen in Unternehmen denken in einem solchen 
Entwurf  eine  breite  Struktur  einer  entsprechenden  Lernkultur  mit.  Einzelne 
transnationale Unternehmen entwickeln derartige übergreifende Strukturen, sie waren 
jedoch  nicht  in  den  untersuchten  Unternehmen  anzutreffen.  Es  würde  dann  auch 
erfordern,  dass  vor  Ort  in  China  Kooperationen  und  Netzwerke  zu  anderen 
Weiterbildungsinstitutionen  entwickelt  werden,  die  für  die  verschiedenen 
Wissensbedarfe auch Bildungsimporte anbieten.  
Die Kosmopolitischen Nomaden bilden die am besten ausgebildete Gruppe mit 
höchster  transnationaler  Aspiration,  die  sich  (berufs)biographisch  sehr  autonom, 
entscheidungsfreudig und aufstiegsorientiert weiter entwickeln, ihre Arbeitsstrukturen 
mit  einem  vergleichsweise  hohen  Handlungsspielraum  gestalten  können  und 
umfangreich  in  institutionalisierter  Form  an  Qualifizierungsangeboten  partizipieren, 
dies  in  einem  globalen  Aktionsradius,  als  auch  in  individualisierter  Form  eigene 
Bildungsräume  gestalten  und  individuelle  Bildungskulturen  entwickeln.  Die  hier 
analysierten Partizipationsmöglichkeiten stellen für das Gros der Auslandsentsendeten 
nicht den Normalfall dar. Diese Gruppe wird sich vielmehr daran beteiligen müssen, 
ihrerseits  Lernkulturen  für  die  Mitarbeiterinnen  und  Mitarbeiter  zu  entwickeln,  die 
eine  transnationale  Struktur  haben,  d.h.  sowohl  kulturübergreifend  als  auch 
kulturspezifische Fragestellungen aufnehmend, angelegt sind.  
Transnationale Lernkulturen werden sowohl für die Erfüllung der unmittelbaren 
Tätigkeiten  vor  Ort  als  auch  für  individuelle  langfristige  Entwicklung  der 
Details
- Pages
- Type of Edition
- Erstausgabe
- Publication Year
- 2017
- ISBN (Softcover)
- 9783960671206
- ISBN (PDF)
- 9783960676201
- File size
- 10.9 MB
- Language
- English
- Publication date
- 2017 (March)
- Keywords
- Interkulturelle Kommunikation Interkulturelle Kompetenz Transmigration Internationales Management Intercultural communication Cross-cultural communication International management Interculturality
- Product Safety
- Anchor Academic Publishing
 
					